Meine Überlegungen heute Abend sollen orthodoxen Gästen und Einwanderern hier in Darmstadt einen geistlichen Zugang zu ihrer Gegend vermitteln. Auch für deutsche Orthodoxe ist es erfreulich, das „orthodoxe Deutschland" kennenzulernen.
Dieses orthodoxe Deutschland findet sich natürlich am leichtesten in den hiesigen orthodoxen Kirchen. In der Darmstädter Russisch Orthodoxen Kirche der Heiligen Magdalena werden Gegenstände aufbewahrt, die für diese Kirche von der Martyrer-Zarin Alexandra angefertigt wurden. Weiterhin kann man in der Frankfurter Russisch Orthodoxen Kirche zum Heiligen Nikolaus eine kleine Reliquie des Heiligen verehren, die in seine Ikone eingelegt ist. Ähnliches gilt für die kleine Kapelle, die auf dem Grundstück des Hotel Attaché in Raunheim zu Ehren der Heiligen Märtyrer-Zarenfamilie errichtet wurde und in einer Ikone Reliquien der Heiligen Elisabeth und Barbara enthält. Einen besonderen Reliquienschatz bietet die Griechisch Orthodoxe Kirche zum Heiligen Georgios in Wiesbaden. Sie lohnt einen Besuch, besonders zu den Festen der Heiligen, die dort mit ihren Reliquien vertreten sind.
Darüber hinaus möchte ich aber auch einige orthodoxe Wurzeln dieser Umgebung bloßlegen. Die Christianisierung dieses Landes reicht ja noch in die Zeit der einen ungeteilten Kirche zurück.
Um diese Zeit lebendig zu machen, habe ich mich nicht nur auf Heilige beschränkt, von denen Reliquien erhalten sind. Ich habe auch besonders wichtige Missionare einbezogen, deren Reliquien verschollen sind.
Zwei Dinge kann ich heute Abend nicht leisten.
Ich kann über das Leben und die Wunder der Heiligen nur ganz kurz und in groben Zügen berichten.
Und ich kann über die Kirchen, in denen sich ihre Reliquien befinden, keine historischen oder kunstgeschichtlichen Auskünfte geben. Das alles können Sie sich aus dem internet ziehen oder an Ort und Stelle entdecken. Mein Thema ist eher historisch. Dabei muß ich gleich einschränkend hinzufügen, daß ich weder ein Historiker noch ein Theologe bin. Ich bin auf diesen Gebieten ein ‚Liebhaber‘, bemühe mich zwar um eine ausgewogene Auswertung der mir verfügbaren Literatur, lasse mich aber gerne von denen korrigieren, die ein besseres Urteil haben.
In das heutige Deutschland ist das Christentum aus drei Himmelsrichtungen gekommen: zuerst von Süden, durch die Römer, die weite Teile des heutigen Westdeutschlands einerseits eroberten, andererseits befriedeten und kultivierten), dann von Westen, d. h. aus dem zunächst römischen, später fränkischen heutigen Frankreich, und danach von Norden, aus Irland, später England. Diese letztere, englische Mission hat dann aber, anders als die von Westen her und aus Irland, stark auf eine Rom-Orientierung der hiesigen Kirche hin gearbeitet. So ist das Christentum hier im Rhein-Main Gebiet wie überhaupt im Westen Europas schon lange Zeit vor der endgültigen Entfremdung Roms von der Kirche durch Einflüsse des römischen Papsttums geprägt, die zuweilen auch von der Heiligen Tradition abweichen (z.B. beim einheitlich durchgesetzten Zölibat der Priester durch Bonifatius).
Zugleich aber läßt sich auch auch in den christlichen Anfängen unserer Gegend eine später in den Untergrund des historischen Bewußtseins gerückte Prägung durch östliche Spiritualität und Askese aufdecken. Sie wurde indirekt vermittelt, durch griechische Handelsbeziehungen und den lebendigen kirchlichen Austausch auch mit den Bischöfen des östlichen Mittelmeerraums, sowie durch die Verbreitung dort entstandener Schriften.
Ein gutes Beispiel bildet Trier, das zur Zeit der Teilung der römischen Herrschaft in ein westliches und ein östliches Reich eine kurze aber wichtige Zeit lang als Regierungssitz (293-316) des römischen Westreichs diente. Trier unterhielt schon seit seiner Gründung durch die Römer (16 v.Chr.) Handelsbeziehungen mit Lyon, das (bereits seit 150 nach Chr.) zum ersten und bedeutendsten Bischofs-Sitz in ganz Gallien geworden war. Zur christlichen Gemeinde Lyons gehörten auch Gläubige mit griechischem Namen. Der Heilige Irenäus (135-202), zweiter Bischof von Lyon, stammte selbst aus dem griechisch geprägten Osten. So verwundert es nicht daß in Lyon bis ins 4. Jh. Griechisch die Liturgie-Sprache war. Griechische Einflüsse kamen so bis nach Trier.
Für orthodoxe Christen hier im Westen bedeutet die spätere Rom-Orientierung des hiesigen Christentums: Wenn wir die Spuren der einen Kirche in der örtlichen Vergangenheit aufdecken wollen, müssen wir immer wieder nachforschen, in welchen Heiligen der Geist dieser einen Kirche sich noch treu bewahrt findet. Diese Spurensuche ist besonders dadurch erschwert, daß fast die gesamte Geschichtsschreibung der heutigen Orientierung am Vatikan folgt.
Es gibt zwar alternative Stimmen, die sich in z. T. oberflächlicher Weise vom Papsttum absetzen. Aber dabei werden, abgesehen von Protestantischen Darstellungen, entweder feministische Schwerpunkte gelegt oder das alte Keltentum mit seinen esoterischen Elementen wird hervorgehoben. Beides lenkt nur vom Wesentlichen ab.
Für Orthodoxe ist es eine Herausforderung, bei all diesen irreführenden Wegweisungen den Zugang zu jenen Heiligen zu gewinnen, die auch wir mit Zuversicht verehren können. Andererseits sollten wir diese Mühe auch nicht scheuen Zum einen haben wir selbst den Gewinn von den Fürbitten der mit dieser Gegend verbundenen Heiligen. Zum anderen bietet sich hier eine Gelegenheit, unseren persönlichen Beitrag zur Ökumene zu leisten.
Ich erlebe es immer wieder, mit welcher Freude die katholischen Priester, Küster und älteren Kirchenmitglieder meine Fragen beantworten und unsere Verehrung ihrer Reliquien zur Kenntnis nehmen. Diese Katholiken finden sich in ihrer Treue zu den Heiligen häufig isoliert und auch von ihren eigenen Mitbrüdern nicht immer unterstützt. Die gesamte Umwelt, auch ihre Gemeindemitglieder, sind oft den Heiligen und besonders deren Reliquien entfremdet. Wenn dann orthodoxe Gäste kommen und diese Reliquien mit Liebe und Andacht verehren, dann erfahren diese Menschen, daß die orthodoxe Kirche eine Heimat für all jene ist, die sich darum bemühen, es mit der Heiligkeit ernst zu nehmen.
Es kommt dann regelmäßig vor, daß Küster oder Pfarrer auch andere Reliquien herausholen wollen, die unsere Kirche nicht verehrt. In diesem Fall muß ich ihnen bekennen, daß wir nur dort geistliche Hilfe suchen dürfen, wo diese mit der einen ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends verbunden ist. Das ist immer ein schmerzlicher Moment, aber auch ein sehr wichtiger. Es geht darum, klar zu machen was wir täglich im Glaubensbekenntnis bekennen: den Glauben an die eine, katholische und apostolische Kirche, die die orthodoxe Kirche ist, - nicht an irgendwelche Schwesterkirchen oder sonstige Konstruktionen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß dieses Bekenntnis respektiert wird.
Auch für uns selbst ist die Entscheidung, wie weit wir mit unserer Verehrung von Heiligen zwischen dem 7. Und 11. Jahrhundert gehen können, nicht immer leicht zu treffen. Es gibt hierfür zwar allgemeine Regeln, aber auch die halten nicht in allen Fällen Stich. Im Einzelfall ist immer die Zustimmung des jeweiligen Bischofs entscheidend. Eine dieser allgemeinen Regeln besagt, daß Heilige, die im Westen schon vor 800 als solche galten, und die auch die Kirche anerkannte, mitsamt ihren Reliquien auch heute von Orthodoxe Christen verehrt werden. Nach dieser Zeit, also nach der Kaiser-Krönung Karls des Großen in Rom, wird es schwieriger. So blieben zum Beispiel neben Irland und Schottland auch weite Teile Großbritanniens bis zur der Eroberung durch Wilhelm von der Normandie (1066), welche die Herrschaft des orthodoxen Königs Harold Godwinson beendete, mit der einen Kirche der Apostel verbunden. Weiterhin würde man vermutlich im Westen verehrte Geistliche nicht als orthodoxe Heilige anerkennen, wenn sie an häretischen Konzilen teilnahmen oder wenn sie das „filioque" im Glaubensbekenntnis beteten. Andererseits haben viele orthodoxe Heilige, auch im östlichen Mittelmeerraum, in ihre Schriften häretische Gedanken einfließen lassen. Wenn aber kein ökumenisches Konzil sie deswegen verurteilt hat, so stehen solche Irrtümer ihrer Heiligkeit nicht im Wege.
Ich werde nun nach diesen allgemeinenVorüberlegunge von der Christianisierung unseres Gebiets in vier Schritten erzählen und danach noch einige Zusatzinformationen über in späteren Zeiten hierher übertragene Reliquien hinzufügen. Dabei habe ich „unsere Gegend" oder die Umgebung von Darmstadt so eingegrenzt, daß der Stoff bewältigbar bleibt. D. h. ich habe im Süden Worms, im Westen Bingen, im Norden Oberursel und Meerholz, und im Osten Aschaffenburg und Amorbach einbezogen. Die vier Kapitel widmen sich den frühen Martyrern, den Heiligen des Frühmittelalters, den iro-schottischen Asketen der Merowingerzeit und der Anglosächsischen Mission der Karolingerzeit.
1. Frühe Martyrer
a. Christenverfolgung
Die ersten Christen im Mainfränkischen Raum waren Händler und Soldaten, die den Germanischen Limes beschützten
Auf einer historischen Karte sieht man die größte Ausdehnung, die das römische Reich in die Gebiete rechts des Rheins erlangt hat - das hielt so etwa 80-260 nach Chr. Es ist immerhin vorstellbar, daß schon zu dieser Zeit einzelne dienst-tuende Soldaten in Konflikt mit römischen Vorschriften gekommen sein könnten (man denke an die Verfolgungen unter Severus, Decius und Valerian). Wir können zumindest nicht mit Sicherheit ausschließen, daß sich auf diesem Gebiet auch schon vereinzelte, inzwischen aber verschwundene Grabstätten christlicher Märtyrer finden. (Wer weiß, wenn Deutschland erst einmal wieder im Glauben erstarkt, vielleicht melden sich diese Heiligen, wenn es sie denn hier verborgen gibt, - so wie das immer wieder in Griechenland und Amerika geschieht.)
Nach 260 wurde der Druck auf die Grenze zu groß, so daß die Befestigungslinie zum Rhein hin zurückgezogen wurde, der sich leichter verteidigen ließ.
Das Zentrum des frühen Christentums unserer Gegend war Mainz (dessen Erzbischof auch heute noch das Gebiet um Darmstadt untersteht). Hier lebten auch die ersten Martyrer. Leider gingen viele ihrer Reliquien in den kriegerischen Auseinandersetzungen, die in Folge der Französischen Revolution das linksrheinische Gebiet überzogen, für immer verloren. Was übrig blieb, ist nur noch in einem (allerdings schön gestalteten) Sammelbehälter zugänglich, der in der West-Krypta des Mainzer Doms aufbewahrt wird.
Der erste Martyrer, den wir mit Namen kennen, ist
Ferrutius + 304 28 Okt
Als römischer Soldat stand er Anfang des 4. Jh. in der Garnison von Mainz-Kastell. Er weigerte sich, an heidnischen Opfern teilzunehmen. Deswegen wurde er ins Gefängnis des Castellum gesperrt, wo er nach 6 Monaten unter Mißhandlungen und Hunger die Krone des Martyriums errang. Seinen Leichnam bestattete ein Priester namens Eugen in Kastel. Später im 8. Jh. hat Bischof Lullus, der Nachfolger des Heiligen Bonifatius in Mainz, zu Ehren dieses Heilligen ein Kloster in Bleidenstadt, heute Taunusstein.
Die dorthin verlegten Reliquien gingen, wie so viele andere, in der Französischen.Revolution verloren. Immerhin ist der Chor der ursprünglichen Kirche noch erhalten. Auch finden sich einige der Reliquien des Heiligen Ferrutius auch heute noch im Mainzer Dom im Reliquienschrein
Martyrer der „Thebaischen Legion" 22 Sept.
Zu den vielen soldatischen Martyrern gehören auch jene, die der „Thebaischen Legion" zugeordnet werden. (Diese Legion ist in der Forschung umstritten. Im Anhang habe ich mir einige persönliche Gedanken darüber gemacht, wie man die Verehrung dieser Martyrer in einen historischen Zusammenhang stellen könnte.) Wir kennen nur wenige mit Namen, unter ihnen Cassius (OE 10. Oktober), der gemeinsam mit seinem Gefährten im Martyrium Florentius im Bonner Münster verehrt wird, und Gereon (OE 10. Oktober) von Köln. Reliquien beider werden in Bingen in der Rochuskapelle (in einem Kasten auf der linken und einem auf der rechten Seite) aufbewahrt
b. Heilige der Völkerwanderungszeit
Der harmlos klingende Ausdruck „Völkerwanderung" bezeichnet eine Umsiedlungs-Bewegung germanischer Stämme, die teils aus klimatischen Gründen, teils aber auch durch Überbevölkerung und dadurch ausgelöste Land-Not, die dadurch Bedingte Mangelernährung und Anfälligkeit für Seuchen, oder schließlich wegen der westwärts nachdrängenden Hunnen ihre Heimat verließen.
Unter dem Druck der Chatten (eines Volksstamms, aus dem die heutigen Hessen hervorgingen) hatten sich die Römer schon seit ca. 250 auf die Rheinlinie zurückgezogen. Mainz gehörte in dieser Übergangszeit neben Köln und Worms zu den wichtigen rheinischen Bischofssitzen Der erste Versammlungsraum der Mainzer Christen lag wohl zunächst zwischen dem Dom und der heutigen Johanneskirche. Diese Johanneskirche selbst ist heute evangelisch. An ihrer Stelle stand die erste Kathedralkirche der Bischofstadt. Sie ist auch für uns Orthodoxe ein bedeutender Wallfahrtsort, weil hier viele Christen ihr Leben ließen. Von einigen möchte ich kurz erzählen.
Alban + 406 21. Juni
Alban lebte zur Zeit des Kaisers Theodosius (379-395) in Philippi in Griechenland. Als Diakon gehörte er, ebenso wie sein Bischof Theonestus, zu den Bekämpfern der arianischen Häresie. Von den Arianern vertrieben, kamen beide von Rom aus zu Ambrosius von Mailand. Von ihm wurden sie als Missionare nach Gallien weitergesandt. In Mainz setzte Alban den ebenfalls von den Arianern vertriebenen Bischof Aureus wieder ein. Alban gehört zu den frühen Missionaren und Bekennern Christi.
Über Albans und Theonests Ende gibt es verschiedene Meinungen. Manche sagen, er sei von den auch in Mainz einflußreichen Arianern getötet worden. Andere bringen sein Martyrium mit dem Überfall (so wird vermutet) der Vandalen auf Mainz 406 in Zusammenhang. Die Stadt wurde völlig zerstört, viele in der Kathedrale ermordet. Albans Reliquien wurden von dem zunächst geflüchteten Theonest im damaligen Dom beigesetzt, später in das zu Albans Ehren gegründete Stift überführt. In der Karolingerzeit gewann St. Alban als wichtigstes Kloster in Mainz große Bedeutung. Leider ist keine Spur dieses heiligen Ortes geblieben. Reliquien des Heiligen Alban befinden sich im Reliquienschrein des Mainzer Doms.
Aureus und Justina 16. Juni
Aureus war jener Mainzer Bischof, von dem schon die Rede war. Justina war vermutlich seine Frau, wurde später aber in „Schwester" umgedeutet, da er als Bischof wohl mit ihr geschwisterlich lebte. Die Angaben über sein Martyrium schwanken: entweder starb er gemeinsam mit Alban, oder, erst später (436 oder 451), nachdem er nach dem nächsten Hunnensturm seine Gemeinde zu stärken versucht hatte. Man kann die Reliquien dieser beiden Heiligen, die lange Zeit große Verehrung in der Mainzer Umgebung genossen, im Mainzer Dom, aber auch in Bommersheim bei Oberursel (in einem Schrein unter dem Hochaltar) verehren.
Theonestus + 451 30 Okt.
Der ursprüngliche Bischof von Philippi soll ein Nachfolger des Aureus geworden sein. In seiner Vita heißt es, Alban sei nicht von den Vandalen enthauptet sondern von den Arianern gesteinigt worden. Was immer es war, das Alban das Leben kostete, - Theonest floh, - entweder nach Italien und wurde dort von den Arianern umgebracht, oder nach Poitiers, wo er 451 beim nächsten Hunnensturm umgekommen sein soll. Er soll in Mainz die erste Grabeskirche über Aureus Grab errichtet haben.
Reliquien dieses Heiligen liegen ebenfalls im Mainzer Dom.
2. Heilige des Frühmittelalters
a. Christliches Gallien
Für das spätere Westdeutschland und damit auch für die Mittelrheingegend spielte die Trier Mission zunächst die größte Rolle. Seit Ende des 3. Jh. befand sich hier neben der Kaiserresidenz für die Hauptstadt des weströmischen Reiches auch ein Bischofssitz. Angesichts der Germanen- und Hunnen-Einfälle gegen Ende des 4. Jh. wurde jedoch diese Residenz nach Mailand und die Präfektur (d.h. die zivile Oberverwaltung für Britannien, Gallien, Spanien und das westliche Nordafrika) nach Arles verlegt. Die entscheidenden frühen Missionsbewegungen kamen vom Westen her, aus Gallien und Aquitanien.
Was war das für ein Christentum, das in unsere Umgebung gebracht wurde?
Es war einerseits geprägt durch römische Verwaltungstradition. Mit der Anerkennung des Christentums als offizielle Staatsreligion (380 unter Theodosius) übernahmen in Gallien Mitglieder der gesellschaftlichen Oberschicht als Bischöfe die Führung der Kirche. Nur sie brachten ja die nötigen Fähigkeiten des Lesens und Schreibens mit, und dazu die Führungskompetenzen für die (angesichts des politischen Chaos der Kirche zufallenden) wachsenden Verwaltungsaufgaben auch in zivilen Angelegenheiten der Städte. Diese Senatorenschicht war gewohnt, auf römische Weise Macht auszuüben. In den Wirren, die mit dem Untergang des römischen Reichs und der Entstehung eines neuen fränkischen Reichs verbunden waren, blieben diese Adeligen das Rückgrat des Funktionierens der gallischen Gesellschaft.
Andererseits wirkten geistliche Einflüsse aus Griechenland und dem vorderen Orient nach Gallien hinein. So gründete um 400 nach Christus der Heilige Johannes Cassianus das Kloster St. Victor bei Marseille. Johannes hatte vorher in Ägypten als Mönch Erfahrungen gesammelt und kann als der einzige wahrhaft orthodoxe unter den lateinisch schreibenden Kirchenvätern gelten. Zur etwa gleichen Zeit gründete der Heilige Honoratus auf einer der Lérins-Inseln sein Kloster. Auch er hatte bei ägyptischen Mönchendie asketische Lebensform kennengelernt.
Viele Mönche dieser beiden Klöster wurden in der Folgezeit zu Bischöfen in Gallien gewählt. So entstand die für die gallischen Diözesen charakteristische Synthese zwischen römischer Effektivität und östlicher Spiritualität.
Anders als die aquitanische Kirche war das Rhone-Mönchtum (in den für Rom politisch bedeutsameren Gebieten) stärker auf Organisation bedacht: Hier bestanden die Mönchs-Bischöfe stärker auf einheitlichen Regeln für das mönchische Leben, Beständigkeit am Ort, umfassende Unterstellung unter Bischöfe in Hinsicht auf Vermögen wie auch geistliche Fragen. Hier also entwickelt sich eine klösterliche Kultur, die viel starrer der kirchlichen Hierarchie zugeordnet war, als dies in den oströmischen Provinzen (und auch in Aquitanien) der Fall war.
Es ist dieser vielschichtige Hintergrund, der das aus Gallien nach Germanien hereingebrachte Christentum prägte. Ein einzelner, herausragender Heiliger wurde, obwohl er selbst in Germanien niemals missionarisch tätig war, für diese Mission zum wichtigsten Bezugspunkt:
Martin von Tours in Worms und Mainz 330 - 399 12. Okt. (ÖH 13.2.)
In ganz Westdeutschland findet man Martinskirchen, die im Zuge der fränkischen Christianisierung der Gebiete rechts des Rheins gegründet wurden. Diese Kirchen haben vielleicht nicht alle Martins-Reliquien. (Eine Ausnahme bildet sicherlich Großostheim, für dessen Martinskirche eine Übertragung seiner Reliquien historisch gut belegt ist. Ich weiß aber nicht, ob es diese Reliquien dort heute noch gibt! Auch im Mainzer Dom gibt es Reliquien dieses Heiligen,.) Diese Martinskirchen bezeichnen oft in erster Linie den christlich untermauerten Herrschaftsanspruch der Franken. Trotz dieser politischen Instrumentalisierung war es ein großer Heiliger, dem die Gebete der frühen Christen in diesen Kirchen geweiht waren.
Martin wurde in Ungarn als Sohn eines heidnischen römischen Tribuns geboren. In Pavia trotzdem christlich erzogen, trat er mit fünfzehn Jahren auf Wunsch des Vaters in den römischen Heeresdienst ein. In Gallien stationiert, fand er Kontakt zum Heiligen Hilarius von Poitiers, der Martin in seinem achtzehnten Lebensjahr die Heilige Taufe spendete.
Hilarius war selbst im Kampf gegen die in Gallien dominierenden Arianer nach Phrygien verbannt worden, kannte also die Kirchen des Ostens aus eigener Anschauung. Er war auch der erste, der mit seinen Klerikern eine monastische Gemeinschaft in Gallien gründete, - lange vor den später so viel berühmteren weil einflußreicheren Klöstern Marseille und Lérins.
Unter diesem geistlichen Vater stehend, erlebte Martin in seinem 20. Lebensjahr eine Vision Christi. Das war, nachdem er aus Mitleid seinen Mantel mit einem Bettler vor den Toren von Amiens geteilt hatte. Es war vermutlich dieses Erlebnis, das ihn dazu brachte, die Teilnahme an einem neuen Germanenzug zu verweigern. Zugleich ist es dieses Ereignis, das ihn zuerst mit unserem Gebiet in Verbindung bringt: Die Wormser Martinskirche soll die Stelle bezeichnen, an der Martin wegen dieser Wehrdienstverweigerung eingekerkert wurde.
Anders als der Heilige Ferrutius kam Martin jedoch mit dem Leben davon, ging auf Missionsreisen, lebte als Einsiedler, und wurde schließlich auf Drängen der Frommen zum Bischof von Tours geweiht. Weniger begeistert waren, wenn man seinem Biographen Sulpicius Severus glauben kann, seine nach Herkunft und Lebensart deutlich anders aufgestellten Amtsbrüder. Sie brachten sogar dem Einsiedlerleben Mißtrauen entgegen, weil es sich der bischöflichen Kontrolle entzog. Auch als Bischof bot Martin ein deutliches Alternativmodell. Er blieb zum Erstaunen seiner Umwelt weiterhin Asket, bescheiden, unablässig um die Seelsorge bemüht, und er wirkte viele Wunder.
Nach dem von Hilarius gewährten Vorbild gründete Martin die ersten eigentlichen Klöster in Gallien, Ligugé und Marmoutier. Es waren also diese beiden im Osten des römischen Reichs und seiner Kirche bewanderten und darum so ungewöhnlichen Bischöfe, die in einer weniger beachteten gallischen Provinz vorwegnahmen, was fünfzig Jahre später als eigentlich politisch bedeutsam in Marseille und Lérins neu aufgebaut wurde. Man kann Martins Entschlafen im Jahre 399 wie eine mystische Stab-Übergabe an jene neuen Klöster sehen.
In allen Martinskirchen, die sich im heutigen Rhein-Main-Gebiet finden, können wir also auch ohne Reliquien zum heiligen Martin als zu einem wahrhaft orthodoxen Heiligen beten, und ganz besonders in Mainz und seinem Dom, die beide ihm geweiht sind (und wo seine Reliquien im Sammelreliquar in der Westkrypta aufbewahrt werden).
b. Das merowingische Franken
Zu „offizieller" und damit auch überregionaler Wirkung kam der Heilige Martin durch den einen germanischen Eroberer des der römischen Oberherrschaft verbliebenen gallischen Restgebiets. Chlodwig (+ 511) war Franke aus der Familie der Merowinger. Als Eroberer mußte er sich mit der eingesessenen galloromanischen Oberschicht gut stellen. Zu dieser gehörte auch der Heilige Bischof Remigius von Reims, der ihn schließlich taufte.
Chlodwigs Entschluß, statt des bei den Germanen dominierenden arianischen Glaubens sich für die katholische Orthodoxie zu entscheiden, soll in Tours, am Grab des Heiligen Martin gefallen sein. Dort soll er bei einem Gottesdienst von der Andacht der Betenden und den vielen Wunderheilungen so beeindruckt worden sein, daß er das außenpolitisch Nützlichere verwarf und sich der katholischen Orthodoxie anschloß. Es war darum Martin, den Chlodwig als den Patron seines neuen Reichs erwählte.
Zur fränkischen Mission in die rechtsrheinischen Gebiete kam es aber erst sehr viel später, besonders unter dem letzten merowingischen König Dagobert. Bis dahin aber hatte sich das ursprünglich römische Christentum in Gallien bereits zu seinem Nachteil germanisiert.
Was bedeutete diese Germanisierung, und warum war sie ein Nachteil?
Nun, die früher heidnischen Franken wurden christlich, als ihr Herrscher Chlodwig sich im Jahre 498 mitsamt 3000 seiner Getreuen taufen ließ. Diese Massentaufe stellt ein Sinnbild dar: Anders als dies in Christi Taufbefehl („lehret und taufet") eigentlich gemeint war, hat sich in Gallien und Frankien das Christentum nicht durch persönliche Umkehr, sondern per Dekret von „oben nach unten" verbreitet. Auch die christliche Einstellung Chlodwigs war noch sehr von heidnischen Elementen geprägt. Das zeigte sich sogar in seinem Entschluß, das Christentum anzunehmen. Zumindest nach außen hat er seine „Bekehrung" auf traditionell heidnische Art motiviert: Vor einer entscheidenden Schlacht gegen die Alemannen am Niederrhein hatte er heidnische Kulthandlungen vorgenommen. Als es dann zur Krise kam, hatte er sich dem „stärkeren Gott" anvertraut und Christus für den gewährten Sieg seine eigene Taufe versprochen.
Und ganz in der germanischen Tradition des Priesterkönigtums sicherte sich Chlodwig 511 in Orleans, wo er den Episkopat zur ersten fränkischen Reichssynode versammelte, die Ober-Hoheit über die Kirche. Ungeachtet seines Katholizismus baute er dabei so viel wie irgend möglich von der eigentlich nur bei den Arianern üblichen Herrschaftsausübung in sein Verhältnis zur Kirche ein.
Der Arianismus erschien ja darum den anderen Germanen so akzeptabel, weil die Herabstufung Christi gegenüber dem allmächtigen Vatergott den Vorteil brachte, die Rolle der Kirche zu mindern und damit die königliche Autorität unberührt zu lassen. Diese königliche Autorität ersteckte sich bei den Arianern auf
- den Kriegsdienst: Bei den Germanen (anders als bei den Kelten) hatte es niemals einen separaten Priesterstand gegeben: alle Freien waren zum Heeresdienst verpflichtet. Entsprechend wurden nun die niederen Kleriker zwar wegen des kanonischen Verbots der Waffen ausgenommen, aber bei „Landesnot" mußten Bischöfe und Äbte trotzdem Kriegsdienst leisten.
- die Personalpolitik: Königliche Autorität entschied 1. über den Eintritt eines Laien in den Klerikerstand, 2. über die Ernennung von Bischöfen, deren kirchenrechtlich eigentlich vorgeschriebene Wahl zurückgedrängt wurde 3. bei der Einberufung und Festlegung der Tagesordnung von Konzilien.
Diese Beschlüsse stuften insbesondere die Bischöfe zu normalen Staatsbeamten herab. In der Folgezeit setzten die Franken auch unvorbereitete Laien als Bischöfe und Äbte ein. Simonie und politische Instrumentalisierung des Episkopats waren damit unvermeidlich.
Auch bei der fränkischen Führungsschicht herrschten natürlich noch heidnischen Vorstellung von Sippe, Stamm und Familienheil vor. So umfaßte der Führungsanspruch adliger Familien nun auch kirchliche Pfründen. Selbst in Klöstern und in Kirchen wurden die privilegierten Stellen für die Söhne freigehalten. Nach der Durchsetzung des Zölibats wurde daraus die Neffen-Erbfolge. Mit dem veränderten Kirchenverständnis ging zudem eine privatrechtliche Organisation der Kirchen auf dem Land einher: es etablierte sich das Eigenkirchenwesen. (Ein gutes Beispiel bildet die von einem Adeligen gebaute und verwaltete Kirche Aureus und Justina in Oberursel.)
Zwar ist das Eigenkirchenwesen kein spezifisch germanisches Phänomen, - das gab es auch in anderen Ländern. Es hat den Vorteil einer intensiven Durchdringung des Landes mit christlichen Lebensformen. Aber im Zusammenhang mit dem germanischen Feudalismus entfaltete es seine schädliche Wirkung für das geistliche Leben. All dies wirkte nun auch in die Umgebung von Darmstadt hinein, denn der ganze Mainfränkische Bereich wurde als erobertes Gebiet fränkischer Fiskalbesitz. Frankfurt wie auch Wiesbaden sind vermutlich Eigengründungen fränkischer Verwaltungsbeamter.
In diese Zeit gehören Kirchengründungen, die dem kämpferischen Heiligen Erzengel Michael, dem Drachentöter Georg und dem als Kriegsmann dargestellten Martin gewidmet sind. Schon Papst Gregor I hatte empfohlen, bei der Mission der Alemannen und anderer Germanen, auf deren hergebrachte Anschauungen über die kriegerische Tüchtigkeit ihrer Götter Rücksicht zu nehmen. Kultstätten sollten in Gotteshäuser verwandelt werden, Götzenbilder durch Heiligenbilder ersetzt werden. Votivgeschenke durften weiterhin dargebracht werden, so daß die Beziehung zu Gott mehr und mehr einem Handel ähnelte.
Es muß also wirklich als ein himmlisches Wunder angesehen werden, daß sich in einer solchen Umgebung wahre Heiligkeit wachsen konnte.
Rupert von Salzburg + 716 27. März
Rupert wurde in die rheinfränkische Adelsfamilie der Rupertiner hineingeboren. Diese Familie hat sich gerade durch ihre Eigenkirchen um die Missionierung des Gebiets um Worms sehr verdient gemacht.
Rupert muß bereits vor 696 Bischof von Worms gewesen sein. Möglicherweise aufgrund politischer Schwierigkeiten mit den aufstrebenden karolingischen Hausmeiern wurde er von seinem noch heidnischen Schwager Herzog Theodo nach Bayern eingeladen. In Regensburg unterwies Rupert den Herzog und seinen Hof im Glauben, taufte sie aber nicht. Er muß also sein Amt ernst genommen haben und wollte sich wohl auch nicht einfach für fränkische Expansionszwecke gebrauchen lassen. Sicher legte ihm aber auch seine Rolle als aufgenommener Gast eine gewisse Behutsamkeit nahe.
Theodo schenkte Rupert großen Landbesitz in Salzburg, dessen christliche Gemeinde er stärkte und durch viele Klöster bereicherte. Er reiste auch um 711 nach Worms, um für diese Stiftungen die Unterstützung seiner Familie zu gewinnen. Auch kurz vor seinem Tod kehrte Rupert nach Worms zurück, wo er bestattet wurde. Später wurden seine Reliquien nach Salzburg überführt. Teile davon gelangten jedoch auch in den Mainzer Dom (im Sammelreliquar in der Westkrypta).
Rupert von Bingen 712 - 732 und seine Mutter Berta + 757 15. Mai
Rupert gehörte im frühen 8. Jh. ebenfalls zum Geschlecht der Rupertiner. Sein Vater war noch Heide, die Mutter Berta eine christliche Fürstentochter. Der Vater, oft in kriegerische Konflikte verwickelt, starb früh. Berta zog an die Nahemündung in ein Haus auf dem heutigen Rupertsberg, um den Sohn, weit ab vom höfischen Leben, auch gleich von allen Kriegen fernzuhalten. Durch ihre karitative Tätigkeit - sie errichtete eine Heimstatt für Pilger und Kranke, mit der mehrere Geistliche verbunden waren - erwarb sie sich den Ruf einer Volksheiligen.
Rupert selbst zeigte frühe Neigung zur Nächstenliebe und wurde von einem Priester namens Wigbert erzogen. Mit 15 Jahren unternahm Rupert eine Pilgerreise nach Rom und zog sich nach seiner Rückkehr ganz aus dem weltlichen Leben zurück. Aus seinem Besitz erbaute er Kirchen und Wohnhäuser für die Armen auf seinem Land. Auch er stand, da er allen weltlichen Versuchungen gegenüber am Glauben festhielt, im Ruf der Heiligkeit, erlag aber schon mit 20 Jahren einem Fieber.
Mutter und Sohn wurden zunächst in einer Kirche auf dem Rupertsberg beigesetzt. 1147 wurde diese Stätte dadurch berühmt, daß Hildegard von Bingen hier ihr Kloster Rupertsberg gründete. Damit lebte auch die Verehrung der beiden Gründungsheiligen wieder auf. Heute sind vom Kloster Rupertsberg nur einige Ruinen übrig, die auf dem Gründstück eines Geschäftsmanns (Würth) besichtigt werden können. Aber die Reliquien von Berta und Rupert (und eines Wigbert, der allerdings vielleicht den ersten Abt von Fritzlar bezeichnet) kann man in der Rochuskapelle auf dem Rochusberg (sowohl auf dem Hauptaltar als auch auf dem Altar der Seitenkapelle) verehren.
Bilhildis 655-750 OE 27 Nov.
Als Tochter eines fränkischen Grafen wurde Bilhildis in/bei Veitshöchheim geboren. Obwohl die Eltern Christen waren, wurde Bilhildis bei ihrer Geburt nicht getauft. Ihre Biographin Brigitte Flug meint, die Eltern hätten sich gefürchtet, sich im noch nicht christianisierten Thüringer Gebiet als Christen zu bekennen. Offenbar sollte sie in Würzburg auf die Taufe vorbereitet werden, - ab ihrem 7. Lebensjahr. Beim Einfall der Awaren in Würzburg kehrte sie nach Veitshöchheim zurück - immer noch ohne Taufe.
In Würzburg residierte damals der verwitwete thüringer Herzog Hetan, der gleichzeitig als fränkischer Amtsherzog diente. (Er muß wohl der Vater jenes Herzogs Gozbertus gewesen sein, der 20 Jahre später den heiligen irischen Missionar Kilian bei sich aufnahm.) Hetan begehrte Bilhildis zur Frau. Ihr Vater lehnte ab, weil sie ihm (mit 16/7) zu jung schien. Dann aber starb Bilhildis‘Vater und die Mutter mußte in ihrer Machtlosigkeit zustimmen. (Nach anderer Version soll der Vater auf eine Bekehrung Hetans durch Bilhildis gehofft haben.) Jedenfalls war die Ehe nicht glücklich.
Über ihr Ende gibt es verschiedene Angaben. Am wahrscheinlichsten scheint mir, daß sie, als ihr Gemahl in den Krieg zog, von ihm die Erlaubnis zum Besuch ihres Elternhauses erhielt. Gleich nach ihrer Ankunft dort floh sie jedoch, obwohl schwanger, weiter nach Mainz zu ihrem Onkel, dem dortigen Bischof Rigibert. Der dort geborene Sohn starb bald. Der zurückgekehrte Ehemann unternahm keine Schritte, um seine Frau aus fränkischem Gebiet zurückzuholen. Früh Witwe geworden, widmete sie ihr Erbe barmherzigen Werken an Kranken und Armen. Schließlich erwarb sie ein Grundstück in Mainz und gründete dort gemeinsam mit Rigibert ein der Gottesmutter geweihtes Benediktinerinnenkloster, später Altomünster genannt. (Dieses Kloster war eines der drei ältesten Nonnenkloster der Rheingegend, zusammen mit den Gründungen von St. Ottilie in Straßburg und Plektrudis in Köln). Sie statte es mit Gütern bei Würzburg aus, fügte eine Priestergemeinschaft bei und stand dem Kloster als Äbtissin vor.
Kurz vor ihrem Tode wurde einigen Mitschwestern durch Visionen offenbart, daß ihre Äbtissin noch gar nicht getauft worden sei. Man holte, nachdem man diese Vision durch Beten und Fasten geprüft hatte, das Versäumte nach. Bei ihrem Entschlafen soll sie von Licht umgeben gewesen sein, und im Chor der Kirche, wo sie bestattet wurde, sollen nachts of Lichter geleuchtet haben.
Im 18. Jh. ging nach der Auflösung ihres Klosters ihre Verehrung auf Mainfranken über. Auf Initiative eines Priesters in Veitshöchheim wurden im Jahre 1722 ihre Reliquien an ihren Geburtsort überführt, wo die Reliquienbüste jährlich zum Fest der Heiligen in Prozession durch die Stadt getragen wird.
Im Mainzer Dom werden ihre Schädelreliquien in der Sakristei aufbewahrt, aber auch der Schrein im West-Chor enthält Reliquien von ihr. An der Stelle ihres Klosters steht heute der Neubau einer inzwischen evangelische Altmünsterkirche.
3. Iroschottische Asketen der Merowingerzeit
Was ist das Besondere an der christlichen Kultur der Iren?
Irland kam nicht durch Rom, sondern offenbar schon früher durch griechische Handelsbeziehungen mit dem Christentum in Berührung. Schon 397 wurde in Südwestschottland das Kloster des Heiligen Ninian gegründet. Unabhängig vom (sowieso schwer einschätzbaren) Einfluß des von Rom 431 gesandten Palladius und später des sehr viel wichtigeren Heiligen Patrick, erhielten sich in Irland (und den mit ihm verbundenen schottischen Gebieten) Besonderheiten. Einige dieser Besonderheiten erinnern an das Christentum des östlichen Mittelmeers. Auch später zogen irische Mönche auf dem Seeweg in den Orient und besuchten Ägypten und Palästina. Sieben ägyptische Mönche sollen gar nach Irland gelangt sein. Die politische Zersplitterung des Landes begünstigte die Unabhängigkeit örtlicher Mönchsgemeinschaften. Besonders wichtig für den Erfolg der irischen Mission im Frankenreich war:
- weniger Organisation und einheitliche Verwaltung, mehr spirituell gegründete Autorität (keine Hierarchie von Patriarchen oder Metropoliten, Bischöfe wanderten von Ort zu Ort, ohne räumlich definierte Diözesen)
- Betonung der mönchischen Lebensform, Unabhängigkeit der Klöster von ihren Äbten, Eremitagen (Skiten) neben koinobitischen Klöstern
- Seelsorge und geistliche Leitung, Ohrenbeichte, Buße als Therapie
- Bibel-Lektüre
- Finanzierung nicht durch den Zehnten, sondern durch freiwillige Spenden
- peregrinatio als grünes Martyrium
- die berühmte irische Härte der Askese verband sich mit einer demütigen und liebevollen Menschlichkeit, die man im Frankenreich zuletzt beim heiligen Martin erlebt hatte.
Dennoch ist der irische Einfluß heute schwer faßbar, und nur sehr wenige Reliquien dieser Missionare sind erhalten geblieben. Hierfür gibt es zwei Gründe. Zum einen kamen nicht alle irischen „Missionare" primär als Missionare aufs Festland. Viele suchten nur einen abgeschiedenen Ort, an dem sie, der Heimat und Familie beraubt, ein Einsiedlerleben führen würden.
Gerade dieser Verzicht auf ein offensives Lehren und Taufen, und gerade diese Unabhängigkeit von politischen Interessen der Herrschenden, trug zum großen und tiefgreifenden Erfolg dieser geistlichen Wanderer bei. Die Mission geschah in aller Freiheit, allein durch das überzeugende Beispiel der Demut, der Armut, der Gastfreundschaft und der persönlich geleisteten (nicht an andere delegierten) Arbeit.
Zum anderen hängt die Bewahrung von Spuren immer von den Nachgeborenen ab. Nun war insbesondere der fränkische Episkopat von der irischen Asketen nicht begeistert. Dabei ging es um
- Konkurrenz im Kampf um die Unterstützung des fränkischen Adels
- die benediktinische Ablehnung unkontrollierbarer Wanderbewegungen
- Ärger über die Mißachtung vorgegebener Diözesangrenzen und die Unbekümmertheit, mit der irische Missionare fränkische Bischöfe ignorierten und ihre eigenen Bischöfe weihten
- Die Peinlichkeit, als fränkische Pfründenbesitzer neben diesen ernsten Gottsuchern ziemlich arm da zustehen
Für unsere Gegend sind die geistlichen Einflüsse der Iren schwerer zu fassen als dort, wo es, wie in Frankreich, im Elsaß und in Süddeutschland, zu großen Klostergründungen kam. Nach Hessen kamen irische Einflüsse vom Kloster Honau (das nördlich von Straßburg früher bestand) ausgehend. So soll zum Beispiel der Ire Beatus in Mainz und an sieben weiteren Stellen in der Wetterau und im Lahngau Kirchen gegründet haben. Wiesbaden-Bierstadt war ursprünglich nach der irischen Heiligen Brigida eine Brigidestadt, auch in Flörsheim gibt es ein Galluspatrozinium.
Disibod 620-700 8. Sept.
Das Gebiet um Nahe und Hunsrück war lange von fränkischen Missionsbemühungen unberührt geblieben. Allerdings gab es eine Gruppe von Einsiedlern um den Trierer Bischof Magnerich, die auch an die Nahe kam. Zu diesen gehörte, neben den Heiligen Wendelin (St. Wendel),. Ingobert (St. Ingbert), Wulfilaich, Bantus und Beatus, auch der Heilige Disobod.
Er hatte bereits in Irland als Wanderbischof missionarisch gewirkt, dort aber offenbar wegen seiner Strenge Schwierigkeiten bekommen. Mit drei Gefährten, Eiswald, Clemens und Salust kam er um 653 oder 670 ins Frankenland und zog 10 Jahre lang predigend umher. Dabei bekräftigte sein heiliges Leben seine Worte. Anders als Columban also war Disibod Missionar aus Berufung. Aber er teilte ebenso Columbans Liebe zur Abgeschiedenheit.
An der Mündung der Glan in die Nahe (bei Odernheim) baute er auf einem Felsenhügel über einer keltischen und römischen Kultstätte eine Hütte und wurde allmählich aufgrund seiner heiligen Lebensweise in der Umgebung bekannt. Die Nachbarn bauten unter seiner Leitung eine Taufkapelle, und viele kamen, um sich in seiner Nähe und Führung in eigenen Zellen am Osthang seines Berges anzusiedeln. So wuchsen in der Wildnis Gärten für das Gemüse und Weiden für das Vieh. Später entstand daraus ein regelrechtes koinobitisches Kloster, das der Regel des Heiligen Columban unterstand. Disibod befolgte allerdings für sich selbst eine viel strengere Askese und hielt am Einsiedlerleben fest. Auch sorgte er für die Seelen der zahlreichen Pilger. Nachdem er noch die Errichtung einer größeren Kirche miterlebt hatte, entschlief der Apostel des Nahetals mit 81 Jahren um 700. Sein Kloster erhielt den Namen Disenberg, und viele Wunder ereigneten sich an seinem Grabe.
50 Jahre später erhob der Heilige Bonifatius, von dem gleich noch die Rede sein wird, seine Reliquien und vergrößerte die Kirche. Das Kloster hatte eine wechselhafte Geschichte. Heute sind nur noch Ruinen zu finden, aber die lohnen einen Besuch. Es kostet 3 € Eintritt, und man kann über www.disibodenberg.de die Öffnungszeiten erfahren.
Spuren irischer Mönche sind auch darum nicht leicht zu finden, weil manchmal im Nachhinein (und das galt schon für die Schreiber der viten) kaum zu unterscheiden ist, ob ein Missionar spontan und auf eigene Rechnung aus Irland gekommen oder - im Zuge fränkischer Missionsaufträge - aus Aquitanien berufen worden war. Beide nämlich verband eine ähnliche Geisteshaltung. Diese Ähnlichkeit führte sogar zu Verwechslungen: Obwohl Pirmin Aquitanier war, wurde er wegen seiner überzeugenden christlichen Lebensart als „Ire" angesehen. Man kann aus dieser Gemeinsamkeit eines wahrhaft traditionalen christlichen Wirkens wiederum ungünstige Rückschlüsse auf den „Normalfall" der ruppigen fränkischen Mission ziehen!
Es soll darum auch ein Heiliger mit hier aufgenommen werden, obwohl sein Wirken in unserer Gegend ganz umstritten ist. Nach einigen Darstellungen war er ein Gefährte des Heiligen Pirmin, für den ebenfalls schottische wie aquitanische Herkunft erwogen wird, der aber halt auf irische Weise vorging, und der immerhin ziemlich wahrscheinlich südlich von Aschaffenburg missionierte.:
Amor +777 17. August
Wenn man diesen Darstellungen glaubt, dann wurde dieser Heilige Pirmin von einem im bayerischen Odenwald ansässigen Gaugrafen Ruthart in diese Region geholt worden sein. Er ließ sich gemeinsam mit seinem Schüler Amor, der Ire gewesen sein soll, bei einem germanischen Quellheiligtum nieder, gründete dann aber später (um 734) in der Nähe ein Missionskloster. Dieses Kloster wurde später barockisiert und ist heute evangelisch. Der Heilige Burkhard, Bischof von Würzburg (der auch die Reliquien des Heiligen Kilian und seiner Gefährten erhoben hatte) förderte die Gründung. Der nahen Quelle, wo (wie es heißt) Pirmin die ersten Taufen vollzogen hatte, wurde wundertätige Wirkung nachgesagt. Sicher haben später Mönche aus Amorbach weit hinauf in das Gebiet der Sachsen missionierten. Bald folgte als Schwesterkloster das berühmte Lorsch, in dem zwar keine Reliquien zu finden sind, das aber einen Besuch wert ist wegen seiner (besonders durch die Rupertiner begründeten) historischen Bedeutung.
Die Schwierigkeit bei der Sache ist, daß andere Forscher die Zuordnung von Amorbach zu einem Heiligen Amor bestreiten und sehr plausible Erklärungen für sprachliche Verwechslungen vorlegen für die besonders ein Weltpriester im 15. Jh. verantwortlich ist, der nach Amorbach gekommen war. Immerhin hat aber dieser Priester dafür gesorgt, daß Reliquien eines Heiligen Amor in die Amorabacher Abteikirche kamen, wo sie auch heute noch in einem mit einer Eisentür verschlossenen Behälter aufbewahrt werden. Es handelt sich dabei allerdings um einen späteren Amor aus Münsterbilsen bei Maastricht, Eremit und Klostergründer aus Aquitanien. Immerhin können wir also diesen Heiligen in Amorbach verehren, auch wenn unklar ist, ob ein heiliger Namensvetter jemals hier wirkte.
4. Angesächsische Missionare der Karolingerzeit (ab 751)
Die Mission der Angelsachsen im Frankenreich setzte bei den Mißständen an, die mit der Schwächung der Merowingerherrschaft immer ärger geworden waren. Die fränkische Landeskirche hatte sich weitgehend römischem Einfluß entzogen. Ihre geistliche Orientierung hing also allein von den Königen ab. Je weniger diese ihre (selbst natürlich auch nicht unproblematische) Führungsrolle wahrnahmen, umso mehr waren Diözesen, Klöster und Kirchen dem örtlichen Adel ausgeliefert. Und dieser Adel stellte seine eigenen Interessen in den Vordergrund.
Bonifatius kam als der große Reformer. Er setzte eine unbedingte Gehorsams-Bindung an den römischen Papst durch. Diese Bindung brachte er einerseits schon selbst aus England mit, das seit dem 6. Jh. im großen Stil durch den von Gregor dem Großen gesandten Bischof Augustinus von Canterbury geprägt worden worden war. Andererseits folgte er auch den Einsichten seines Landsmannes Willibrord, den er zunächst bei dessen Friesenmission unterstützte und der durch viele Mißerfolge im Konfliktfeld zwischen fränkischen Expansionsbestrebungen und friesischer Hartnäckigkeit festgestellt hatte, daß ohne Rückendeckung von Rom nichts zu erreichen war.
Winfried-Bonifaz 675 - 754 5. Juni
Winfried war von Kindheit an in englischen Klöstern erzogen worden, hatte in der englischen Kirche sozusagen eine akademische Karriere gemacht, und es bis zum anerkannten Lehrer und Ratgeber von Königen gebracht. Dennoch trieb ihn die Sehnsucht, auch den Stammesbrüdern auf dem Festland, den Sachsen, den Glauben zu überbringen. Man erzählte daß diese, konfrontiet mit den gewaltsamen Bekehrungsabsichten des karolingischen Hausmeiers Karl Martells und seinem fränkischen Heer, gesagt hätten: lieber würden sie das Christentum von ihren Stammesverwandten in Britannien empfangen. Das hörte Winfried wie einen Ruf Gottes.
Anders als die irischen Missionare suchte er seine Ziele organisatorisch zu verwirklichen.
Er hatte die Schwierigkeiten bei der Bekehrung der heidnischen Friesen als Helfer des Heiligen Willibrord miterlebt. Er stimmte dem Heiligen Willibrord darin zu, daß nur mit Hilfe sowohl der fränkischen Herrscher als auch Roms konkrete Ziele der Christianisierung zu verwirklichen waren. Hierzu dienten einerseits mehrere Rom-Reisen, andererseits die Zusammenarbeit mit den karolingischen Hausmeiern der Merowinger. Diese Hausmeier waren eben zur Zeit seines Wirkens im Begriff, ihre eigene Hausmacht auszubauen und somit die Königsherrschaft von den Merowingern auf ihr eigenes Geschlecht, die Karolinger zu übertragen.
Von Rom als päpstlicher Legat und Erzbischof autorisiert, selbst Bischöfe zu weihen und Bistümer zu gründen, wirkte Bonifatius erfolgreich in Bayern, Hessen und Thüringen. Dabei konnte er anfangs durchaus auch auf die Unterstützung der Karolinger rechnen. Leider verhinderte genau diese Verbindung von Mission und politischer Herrschaftssicherung bei den Sachsen jedes geistliche Wachstum: sie sahen das Christentum als Religion einer feindlichen Übermacht an. Viele der Klostergründungen dort wurden sehr bald wieder zerstört.
Auch der fränkische Episkopat begrüßte die von einem „Ausländer" eingeführten Reformen nicht. Sie mochten zwar im Osten Frankens hingehen. Aber als Bonifaz auch im linksrheinischen Kern-Gebiet der Franken (das man also vom Mainfranken, der rechtsrheinischen Gegend um Würzburg, unterscheiden muß) die Mißstände des Eigenkirchenwesens und der Simonie abschaffen wollte, stieß er auf Widerstand. Die geplante Kirchenreform und Umordnung der Diözesen griff tief in die Interessensphären der ansässigen Bischöfe ein.
Unbestreitbar ist Bonifatius' Bedeutung für die Vertiefung und Reinigung des bereits vorhandenen christlichen Glaubens in den Gebieten seiner Missionstätigkeit. Seine Klostergründung Fulda wurde zu einem wichtigen geistlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Zentrum. In den Klöstern begann die Fürsorge für die Kranken und die Armen. Das Los der Sklaven und Gefangenen verbesserte sich. Abtreibung und Kindstötung wurden bestraft. Auch die Stellung der Frau profitierte von der systematischen Abschaffung heidnischer Vielehen.
Bonifatius stützte sein Werk durch zahlreiche Verwandte und geistliche Brüder, die er aus England berief. Aus England brachte er auch den Begriff der geistlichen Geschwisterlichkeit mit, und damit die Tradition der Doppelklöster für Mönche und Nonnen. Sowohl seine Nonnen als auch seine Mönche lebten weniger zurückgezogen, sie wirkten stark in ihre Umwelt hinein. Bonifaz wußte: Nur wenn die Frauen der Herrscher wie auch der Untertanen im Glauben unterwiesen werden, kann die bei den Männern erreichte Taufe Frucht bringen. Große geistliche Mütter wie Lioba und Walburga unterstützten sein Werk durch Nonnenklöster, die erzieherisch auf ihre Umgebung einwirkten.
Mit der Orientierung auf Rom ging eine starke Betonung der Verehrung des Heiligen Petrus einher. Von daher verweisen die Peterskirchen in Mitteldeutschland auf eine angelsächsisch motivierte, sehr frühe Gründung. Diese Kirchen haben natürlich allesamt auch keine eigenen Reliquien.
Gegen Ende seines Lebens verlor Bonifatius, mit dem Bistum Mainz als Ersatz für den von ihm erhofften Sitz in Köln nicht eben zufrieden, seinen politischen Einfluß im Frankenreich. Auch das Martyrium, das er gegen Lebensende bei den Friesen suchte, wurde ihm nur indirekt gegönnt: er starb bei einem Raubüberfall. Immerhin aber sorgte sein Schüler und Nachfolger Bischof Lullus von Mainz für seine Anerkennung als Martyrer und die Erhebung seiner Reliquien. Diese liegen in der Hauptsache im Zentrum seiner Verehrung, in Fulda. Aber auch in Mainz sind einige verblieben, sowohl im Sammelbehälter als auch im Domschatz. Darüber hinaus sind seit dem 19. Jahrhundert, als seine Verehrung im Zuge der Stärkung eines deutschen Nationalbewußtseins erst richtigen Aufschwung nahm, viele Reliquien in Kirchen anderer Orte übertragen worden.
Wigbert der Ältere 670-746 13. August
Wigbert unterstützte gemeinsam mit dem etwas jüngeren Bonifatius die Mission in Hessen. Später setzte ihn Bonifatius als Abt über das neu gegründete Kloster Fritzlar. Hier hatte Bonifatius die heidnische Donar-Eiche gefällt und sogleich aus dem Holz eine erste Kirche bauen lassen. Hier war also missionarische Basisarbeit zu leisten. Später schickte Bonifatius den begnadeten Lehrer und Seelsorger zum Aufbau des Klosters in Ohrdruf nach Thüringen, wo Wigbert eine Schule für Missionare gründete. Als Lehrer der bedeutenden Missionare Lullus, Mengingaud und Sturmius war Wigberts geistlicher Einfluß groß. Gegen Ende seines Lebens erlangte er die Erlaubnis, sich wieder in die Ruhe von Fritzlar zurückziehen zu dürfen.
Seine Mönchstugenden und sein missionarischer Erfolg wurden von allen gelobt. Bei persönlicher Strenge gegen sich selbst, auch noch in hohem Alter und trotz jahrelanger schwerer Krankheit, blieb er doch wissenschaftlich tätig und liebevoll um seine Mönche bemüht. Sein Entschlafen war von Wundererscheinungen begleitet, und er wurde wegen der an seinem Grabe geschehenen Wunder vom Volk als Schutzpatron von Fritzlar angerufen.
Seine Reliquien wurden später nach Hersfeld gebracht, wo sie verbrannten. Einige blieben in Fritzlar. Bereits im 10. Jahrhundert wurden zudem seine Reliquien weithin verteilt. Wir können sie auch in der Rochuskirche in Bingen (auf dem Altar und in der Kapelle der Binger Heiligen) verehren.
5. Später übertragene Reliquien von Heiligen, die durch ihre Anwesenheit für unser Gebiet wichtig sind
Die meisten Reliquien in Deutschland sind durch Übertragung dorthin gelangt, und es ist oft schwierig, ihre Wege und Geschichten nachzuzeichnen. Ich werde diese Heiligen in der Reihenfolge Ihres Todestages behandeln, da manche von ihnen an mehreren Stellen verehrt werden können.
Bartholomäus + 51 (Datum im ök.Hl.Lx) 11. Juni und 24/25 August (Übertragung)
Er gehörte zu den 12 Jüngern Jesu (von vielen mit Nathanael identifiziert). Seine Missionsreisen führten ihn nach Persien, später nach Armenien, wo seine Zerstörung der heidnischen Götter ihm Feindschaft und Martyrium einbrachten.
Seine Gebeine wurden nach verschiedenen Umwegen von Otto II 983 aus Benevent nach Rom gebracht. Schon im 10. Jh. kamen Reliquien in die Reichenau. 1238 kam die Hirnschale durch Kaiser Friedrich I Barbarossa nach Frankfurt, wo sie im nach ihm benannten Dom an der östlichen Wand des Südschiffs in einem Turm-Tabernakel verehrt wird. Weitere Reliquien von ihm finden sich im Dom-Museum in einem Büsten-Reliquar.
Alexander I Papst von Rom, 3. Mai 115
Er soll der fünfte römische Gemeindevorsteher nach Petrus gewesen sein. Er gewann viele Menschen, besonders aus dem niedrigen Adel, für das Christentum. Ungesichert ist, ob er das Maryrium unter Trajan erlitt.
Seine Reliquien wurden 834 nach Freising übertragen. Der Stiftsschatz in St. Peter und Alexander in Aschaffenburg birgt die Schädelreliquie des Heiligen
Quirinus + 115 30. März
wahrscheinlich von Rom. Er war der Kerkermeister des Papstes Alexander und wurde aufgrund der Wundertaten des Heiligen (der auch seine Tochter Balbina heilte) bekehrt und bald darauf enthauptet.
Seine Reliquien kamen durch Schenkung von Papst Leo IX an seine Schwester Gepa nach Neuss, die dort Äbtissin war. Von dort verbreitete sich die Verehrung des Heiligen Quirinus durch ganz Westdeutschland, und kamen auch nach Bingen in die Rochuskirche (im Kasten links).
Laurentius + 258 OE 10. Augus
Aus Spanien stammend, wurde er einer der sieben Diakone in Rom. Als Sixtus II, Papst von Rom unter Kaiser Valerian gemartert wurde, begleitete Laurentius ihn auf seinem Weg zur Hinrichtung, dabei laut klagend, daß er sein Leiden nicht teilen dürfe. Sixtus tröstete ihn und sagte ihm sein baldiges Martyrium voraus. Auch beauftragte er ihn, den Kirchenschatz, auf den der Kaiser sicher bald Anspruch erheben würde, schnell noch unter die Armen zu verteilen. Diese wurden so in großer Zahl für Christus gewonnen. Als der Kaiser dann in der Tat die Herausgabe des Schatzes verlangte, führte Laurentius ihm die Armen vor mit den Worten: dies ist der Schatz unserer Kirche. Daraufhin wurde er gefoltert und errang die Krone des Martyriums.
Gemeinsam mit Stephanus in einem Sarg beigesetzt, wird Laurentius gemeinsam mit jenem als Proto-Martyrer Roms verehrt. In Deutschland verbreitete sich sein Kult nach dem Sieg Ottos I am Laurenzitag über die Ungarn auf dem Lechfeld (955). Aber in Gau-Algesheim soll schon im 6/7 Jh durch iroschottische Mönche eine Kirche gegründet und Laurentius gewidmet worden sein. Dort findet sich auch eine Reliquie des Heiligen in einer Monstranz.
Flora + 265 29. Juli
Eine römische Sklavin, die gemeinsam mit anderen Gefährten unter Kaiser Galienus in Rom das Martyrium erlitt. Reliquien dieser Heiligen (wohl aus dem reichen Reliquienschatz des Bistums Fulda übertragen) wurden 2007 in Meerholz in den Zelebrationsaltar eingelassen
Während diese Kirche selbst nicht besonders sehenswert ist, lohnt sich ein Ausflug in das benachbarte Gelnhausen, wo es eine staufische Kaiserpfalz, eine gotische Marienkirche und eine mittelalterliche Stadt zu besichtigen gibt.
Valentin von Terni + 286 14. Feb.
Er war ein Bischof in der Nähe von Rom und wurde wegen seiner Heiligkeit nach Rom berufen, um den verkrüppelten Sohn eines Rhetors zu heilen. Er tat das, und durch dieses Wunder kamen viele zum Glauben. Darum wurde er angeklagt und in Rom enthauptet.
Einige seiner Reliquien liegen in der Liebfrauenkirche in Worms (an der südlichen Seitenwand in einer Büste hinter einem Kerzenstand), Eppertshausen (im Tresor in der Sakristei von St. Sebastian), und in der berühmten Kiedricher St. Dionysius und Valentinuskirche (im sockel der Valentinusbüste).
Sebastian + 288 in Rom 24. Oktober, 18. Dezember, 20. Januar
Sebastian, aus Mailand oder Narbonne gebürtig, war Hauptmann der Prätorianergarde unter Diokletian. Seinen Glauben verheimlichend konnte er vielen gefangenen Christen ihr Leiden erleichtern und durch Wunder ihre Verletzungen heilen. Auch bestattete er die Martyrer. Durch seine Wunder bekehrte er viele Römer zu Christus. Sein Martyrium durch Pfeile brachte ihm noch nicht den Tod. Gesund gepflegt trat er dem Kaiser öffentlich entgegen und wurde daraufhin zu Tode geprügelt.
Seine Reliquien wurden in Rom durch eigene Kirchen geehrt. 826 kamen einige Stücke nach St. Médard in Soissons, dem Sitz der fränkischen Könige. In der Darmstädter Umgebung finden sich Reliquien in St. Sebastian in Eppertshausen (im Tresor in der Sakristei von St. Sebastian).
Quentin + 300 31. Oktober
Er entstammte einer römischen Senatorenfamilie. Erfüllt vom Eifer für das Königreich des Himmels wies er alle Angebote einer Karriere zurück und begab sich gemeinsam mit dem Heiligen Lucius von Beauvais in der Zeit der Regierung Kaiser Maximianus‘ nach Nordgallien, um in der Gegend von Amiens als Missionar zu wirken. Hier fand er, nachdem er durch sein heiliges Leben und viele Wunder die Menschen für Christus gewonnen hatte, durch die Verfolgung eines Präfekten Varus aus Trier, der mit Diokletian eng verbunden war und von all diesen Bekehrungen hörte, den Tod als Martyrer.
Über seinem Grab entstand durch die großen Pilgerscharen die nach ihm benannte Stadt St. Quentin. St. Eligius, Bischof von Noyon, suchte und fand die verlorengegangenen Reliquien, erhob sie in einer Kapelle, von deren Ort man nichts mehr weiß, und verteilte die Nägel des Martyriums und Teile der Reliquien weiträumig. Große Verehrung genoß dieser Heilige unter den Merowingern und Karolingern
In Mainz ist eine Kirche ihm gewidmet und enthält auch Reliquien (einige davon im Zelebrationsaltar, andere in der Sakristei), die im letzten Jahrhundert aus St. Quentin übertragen wurden.
Protasius, und Gervasius, + 300 19. Juli
Sie waren die ersten in Mailand erhobenen Martyrer. Der Heilige Bischof Ambrosius fand sie in der Kirche der Heiligen Nabor und Felix und weihte ihnen die Stadt Mailand und eine zu ihren Ehren erbaute Kathedrale. Ihre Verehrung verbreitete sich rasch; auch Martin von Tours hat sie besonders bedacht
Ihre Reliquien sollen 1132 durch Rainald von Dassel nach Breisach übertragen worden sein. Auch das Frankfurter Dom-Museum besitzt einige von ihnen.
Petrus und Marcellinus + 303 2. Juni
815 schenkte Karls des Großen Sohn Ludwig der Fromme dem Sekretär, Schwiegersohn und Ratgeber des Vaters, Einhard, das Königsgut, auf dem heute die Stadt Seligenstadt steht. Einhard gründete dort ein Benediktinerkloster, in das er nach seiner Verwitwung auch eintrat. Um seine Gründung durch Reliquien heiliger Martyrer zu heiligen, schickte er einen Beauftragten nach Rom, der diese aus den bekannten Katakomben ‚besorgte‘. Einhards Wahl fiel auf den heiligen Exorzisten Petrus, der gemeinsam mit dem Priester Marzellinus unter Diokletian hingerichtet worden war, vermutlich wegen der Namensgleichheit mit dem Apostel, die ihm bei den Franken große Verehrung sicherte.
Die Reliquien liegen in der Einhardsbasilika unter dem Hochaltar.
Ambrosius von Mailand + 397 7. Dezember
Es geschah auf sein Drängen, daß Kaiser Theodosius 391 alle heidnischen Kulte verbot und das Christentum zur Staatsreligion machte. Als großer Kämpfer gegen den Arianismus setzte Ambrosius als Bischof von Mailand die Beschlüsse des Konzils von Nicäa (325) in seiner Diözese durch. Seine Gebeine wurden in der von ihm für die Martyrer Gervasius und Protasius erbauten Kathedrale beigesetzt.
Auch im Frankfurter Dom-Museum befindet sich ein Reliquar des Heiligen.
Leonhard von Noblat + 559 6. November
In eine fränkische Adelsfamilie geboren und von Remigius von Reims belehrt und getauft (wie Chlodwig), lehnte Leonhard einen Bischofssitz ab und zog sich in eine Einöde bei Limoges zurück. Er predigte den ihn besuchenden Pilgern und heilte ihre Krankheiten und Gebrechen. Er besuchte die Gefangenen und erwirkte für viele bei Chlodwig die Freilassung. Er gründete ein Waldkloster mit dem Namen Noblat. Die über seinem Grab erbaute Kirche wurde Station auf dem Pilgerweg zu St. Jakob von Compostela. Alle fränkischen Herrscher besuchten sie.
1323 wurde ein Arm des Heiligen aus Wien nach Frankfurt überführt und in die dann nach ihm benannte Kirche übertragen. Auch im Dommuseum befinden sich seine Reliquien
Bonifaz IV + 615 8. Mai
Als Sohn eines Arztes trat Bonifaz in Rom in die Dienste des Papstes Gregors des Großen. Als Papst wandelte er das Pantheon in eine Kirche um und bereitete so das Fest Allerheiligen vor. Er unterstützte die von Gregor begonnene Mission in England und half auch Columban dem Älteren bei seiner Mission der Schotten.
Reliquien dieses Heiligen (ebenfalls aus Fulda übertragen) wurden 2007 in Meerholz in den Zelebrationsaltar eingelassen.
Anhang: Zum Problem der Thebaischen Legion
Es handelt sich hier um ganz unvorgreifliche Gedanken, die ich hier zur Diskussion stelle, weil sie mir plausibel erscheinen um das Problem mit diesen für die Christianisierung Deutschlands so wichtigen Heiligen zu lösen.
Worin also besteht das Problem?
Es gibt einerseits eine Jahrhunderte-überdauernde Tradition der Verehrung bestimmter Soldaten-Martyrer, die als „der Thebäischen Legion zugehörig" angesehen werden. Diese finden sich von St. Moritz im Schweizer Wallis bis nach Xanten am Nieder-Rhein an vielen Stellen.
Andererseits ist das, was Bischof Eucherius von Lyon (um 450) an historischen Tatsachen anbietet, von der Forschung eindeutig als unhaltbar erwiesen. Die erzählte Hinrichtung einer ganzen Legion hätte sicher in anderen zeitgenössischen Quellen eine Spur hinterlassen, wenn sie sich so ereignet hätte. Man kann also, wie etwa Egon Moser (Der heilige Mauritius in Sinzig) diesen Widerspruch durch fromme Übertreibung erklären. Damit bleibt aber ungeklärt, wie es zur Bezeichnung einer „Thebäischen" , also ägyptischen Legion gekommen ist, die historisch ebenfalls nicht belegt ist. Es ist diese Frage, auf die sich meine Überlegungen beziehen.
Zunächst ein Gedanke zur Hagiographie allgemein.
Die Geschichtsschreibung über die Heiligen hat stets das Heil der Rezipienten im Sinn. Fakten werden im Hinblick auf ihre Heilsbedeutung gedeutet. Schon der Evangelist Johannes zeichnete sich nicht primär durch Faktentreue, sondern dadurch aus, daß er, obwohl nicht so sehr an empirischen Details interessiert, doch das Erlebte tiefer in seiner theologischen Bedeutung verstand. So sind die religiösen Geschichten um Heilige für moderne Menschen mit ausgebildetem historischen Bewußtsein nur schwer nachzuvollziehen.
Diese Besonderheit muß man bei der Beurteilung der historischen Probleme der Heiligenerzählungen mitbedenken. Man denke an die Vita Pirmini, die (ohne Grundlage) behauptet, er sei in Rom gewesen und habe dort Bonifaz getroffen. Zur Zeit der Abfassung dieser vita war es entscheidend, Pirmin als „auf gleicher Rom-Linie" wie Bonifaz zu erweisen. Um seine innere Orientierung auf Rom hin (gerade auch gegen die politisch motivierten Gegner des Bonifaz gerichtet) zu verdeutlichen, war es unerläßlich, diese Orientierung als in einer vollbrachten Tat der Romreise darzustellen. Es war sozusagen unvorstellbar, daß Pirmin das theologisch Richtige erkannt hätte, diese Erkenntnis aber nicht durch die Tathandlung bezeugte. Auch wir wissen, daß der Glaube zu Taten führen muß und echter Glaube als das gesehen wird, was sich in solchen Taten auch zeigt. So „zeigte" man Pirmins theologische Einstellung an dieser zum Ritual gewordenen Handlung.
Wir wissen von Eucherius, daß es ein „im Orient beheimateter" Theodul, Missions-Bischof von Octodurus (Acaunum), war, der 380 (oder schon 350?) die Gebeine des Heiligen Mauritius und seiner Gefährten in Martigny erhob und ihnen als „Thebäern" eine Kirche erbaute. (Weil später sein Bischofssitz nach Sitten verlegt wurde, ist dieser Heilige auch als Theodul oder Theodor von Sitten bekannt.) Dieser Bischof war von den Ideen des Mönchtums aus der ägyptischen Wüste begeistert. Sollte seine Herkunft gesichert sein, so wäre das nicht verwunderlich.
Was aber, wenn sie nicht gesichert ist? Bei der bei seinem Dienstantritt gebauten Basilika gründete Theodul sogleich eine geistliche Gemeinschaft seiner Kleriker. Diese Gemeinschaft trägt Züge, die auf eine Rezeption ägyptischer Frömmigkeit verweisen. Einerseits nämlich entsprach die Lage ihrer Niederlassung dem idealen Vorbild von Lérins (einem Kloster in Südfrankreich) sowie dessen Vorbild in der Thebais (wie eine historische Tagung 2003 in Fribourg feststellte). Andererseits muß Theodul jenes erste coinobitische Mönchtum für Kleriker im Westen gekannt haben, das Eusebius, seit 340 Bischof in Vercelli, eingerichtet hatte. Eusebius selbst hatte während seiner Verbannung durch einen arianischen Kaiser den Nahen Osten kennengelernt und soll nach einigen Quellen auch in die Thebais gekommen sein. Daß Theodul diese seine eigene Klerikergemeinschaft der des Eusebius nachbildete, liegt auch darum nahe, weil Vercelli ebenso zum Erzbistum Mailand gehörte wie Acaunum. Drittens war Eusebius selbst mit dem Heiligen Athanasius verbunden (Eusebius' Vater war ein Martyrer aus der Verfolgung durch die Arianer), der ebenfalls gegen die Arianer kämpfte. Dieser hatte schon 339 Rom besucht. So mag Theodor, wenn er von Eusebius die Idee mit der cella übernahm, auch später die ab 360 bekannte vita Antonii des Athanasius gekannt haben, die das Leben „in der Wüste" als Vorbild für Christen darstellte. Theodul, der Eusebius vermutlich kannte oder zumindest von ihm wußte, hatte also mehrere Gründe, das asketische Mönchtum mit Ägypten und besonders mit der Thebais zu assoziieren.
Wenn also Eusebius als erster eine Kleriker-cella gegründet hatte an seinem Bischofssitz, weil er die ägyptischen Mönche aus der Thebais als sein Vorbild ansah, dann ist denkbar, daß auch Theodor mit der Gründung seiner sehr ähnlichen cella sich und seine Mitmönche an das Vorbild der Thebaier erinnern wollte.
Nun fand er Gebeine von Martyrern, die aus einer römischen Legion stammten. Könnte er da nicht als Seelsorger ungefähr so gepredigt haben: „Seht, diese Blutzeugen - auch sie sind ja „Thebaier" gewesen wie unsere Vorbilder heute. Mit dem Ende der Christenverfolgungen unter dem Heiligen Konstantin dem Großen haben ja jene (thebaischen) Wüstenmönche das nun nicht mehr erstrebbare rote Martyrium des Bluts in ein weißes Martyrium der Askese verwandelt. Die hier aufgefundenen Bluts-Martyrer waren erfüllt von derselben leidenschaftlichen Gottesliebe, die auch jene Mönche in sich entzündet haben."
Könnte es also nicht sein, daß Theoduls seelsorgerliche Rede von „unseren Thebaischen Legionären hier in den Gräbern" sich verwandelt haben mag im Gedächtnis der Menschen in „unsere Thebaische Legion"?
Hinzu kommt daß jener Bischof Eucherius von Lyon, der kurze Zeit darauf die Heiligenlegende dieser Legionäre niederschrieb, so wie sie ihm durch das Zeugnis Theoduls (nochmal vermittelt durch einen Genfer Bischof), zugänglich war, selbst ein Bewunderer des ägyptischen Mönchtums. Aus aristokratischer Familie stammend, hatte auch er schon den Weg nach Lerins gefunden, wohin er sich 420 zurückgezogen hatte. Der dortige Abt Honorat (der mit seinem Lehrer St. Caprasius 368 in Griechenland gewesen war) hatte hier im Süden Frankreichs ein Kloster nach ägyptischer Manier gegründet. Hierzu lag ihm als Quelle nicht nur Athanasius' Leben des Heiligen Antonius, sondern auch die Regel des Heiligen Pachomius vor. Und dieser Pachomius hatte gerade zur Zeit der Diokletianischen Verfolgungen am eigenen Leib eine gewaltsame Einziehung zum Soldatendienst erfahren. Er stammte aus Theben, lernte beim Militär Christen kennen, bekehrte sich und floh, um in der Thebais das coenobitische Mönchtum zu erfinden.
Zweifellos hat Eucherius von Pachomius gewußt. Er selbst unternahm mit seinem Bruder und Abt Honorat eine Pilgerreise in den Osten mit Ziel Thebais. Weil der Bruder aber unterwegs verstarb, kehrten die beiden zurück, ohne ihr Ziel zu erreichen..
Es ist also vorstellbar, daß Eucherius, da er selbst vom Gedanken an die Thebais erfüllt war und überdies das Vorbild des Heiligen Pachomius vor Augen hatte, der Rede von der Thebaischen Legion in Martigny unbedingt einen guten Sinn geben wollte. So mag es gekommen sein, daß er sich beim Bemühen um eine möglichst plausible historische „Rekonstruktion", wie es wohl zu thebaischen Legionären in der Südschweiz gekommen sein mochte, von diesen Verknüpfungen leiten ließ. Dabei ging er aber so phantasievoll vor, daß die nachgeborenen Historiker (die nicht wissen, wie sich in der Hagiographie Seelsorgerliches mit Faktischem verbindet) nur noch Erfindungen vermuten konnten.
Wenn man nun an die vielen „thebaischen" Martyrer denkt, deren Reliquien am Rhein entlang bis Xanten verehrt werden, so ist vorstellbar, daß die einmal geschaffene Verbindung zwischen dem Martyrium von Legionären und dem Geist der Thebais sich einmal festgesetzt hatte, daß es nahelag, auch angesichts der bald weithin verbreiteten Verehrung der Walliser Martyrer, sie alle mit jener imaginären „thebaischen Legion" zu verknüpfen.
Die wichtigste Quellen
Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter, Stuttgart 1995
Heinz Heinen, Hg., Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Frühmittlealter (Geschichte des Bistums Trier I), Trier 2003
Otto Meyer, Die Christianisierung Frankens, Würzburg 2006
Lutz E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, Stuttgart 2006
Fr. Andrew Phillips, Hl. Bonifatius von Crediton, Apostel Deutschlands, Christliche Orthodoxe Schriften, Berlin 2008
Knut Schäferdiek. Schwellenzeit. Beiträge zur Geschichte des Christentums in Spätantike und Frühmittelalter. (darin besonders: ders. Francia rhinensis und fränkische Kirche, 329-348), Berlin 1996