Die Stimme der Kirche muss prophetisch sein
VORTRAG des Vorsitzenden des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, des Metropoliten von Volokolamsk Hilarion, bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen  (Busan, Republik Korea, 1. November 2013)
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Eure Heiligkeiten und Seligkeiten, Eminenzen und Exzellenzen, liebe Väter, Brüder und Schwestern, verehrte Delegierte zur Vollversammlung!

Der Ökumenische Rat der Kirchen hat eine lange und reiche Geschichte. Nach seiner Gründung kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges suchte der Ökumenische Rat der Kirchen Antworten auf die Erwartungen der verschiedenen christlichen Konfessionen, die sich um Treffen bemühten, um einander kennenzulernen und um zusammenzuarbeiten. In den 65 (fünfundsechzig) Jahren seit der Gründung des es haben einige Generationen von Christen, die zu früher voneinander entfremdeten religiösen Gemeinschaften gehörten, den Glauben und das Leben ihrer Brüder und Schwestern in Christo für sich entdeckt. Viele Vorurteile in Bezug auf andere christliche Traditionen wurden überwunden, aber gleichzeitig wurden wir uns bedeutend klarer und tiefer der Unterschiede bewusst, die bis heute die Christen trennen. Die Haupterrungenschaft des Rates war jedoch das Ereignis des Zusammentreffens selbst, der wohlwollende und von gegenseitiger Achtung getragene interchristliche Austausch, der nicht auf irgendwelche Kompromisse im Bereich der Theologie und Sittlichkeit ausgerichtet war und uns erlaubte, wir selbst zu bleiben, unseren Glauben zu bezeugen und dabei in der Liebe zueinander zu wachsen.

Der Ökumenische Rat der Kirchen bleibt auch heute ein einzigartiges Instrument der interchristlichen Zusammenarbeit, wofür es in der Welt nichts Vergleichbares gibt. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit dieses Instrument effektiv ist. Denn man muss leider feststellen, dass im Christentum der gesamten Welt trotz aller Bemühungen um die Annäherung der verschiedenen christlichen Konfessionen die in der Vergangenheit entstandenen Trennungen nicht nur nicht verschwinden, sondern dass sogar neue entstehen. Viele christliche Gemeinschaften spalten sich weiter, wogegen die Zahl der sich vereinigenden Gemeinschaften äußerst gering ist.

Eines der Probleme, mit denen der Ökumenische Rat der Kirchen zurzeit konfrontiert ist, ist das Problem der Finanzen. Dieses Problem ist angeblich im Zusammenhang mit der weltweiten Wirtschaftskrise zu sehen. Ich erlaube mir, diese Meinung nicht zu teilen. Die Erfahrung anderer internationaler Organisationen, deren Tätigkeit dem allgemeinen Nutzen dient und daher gefragt ist, zeigt, dass die Mittel für gute Zwecke meist zu finden sind. Das Problem liegt somit nicht nur in der Finanzkrise, sondern darin, wie aktuell und bedeutsam die Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen für die heutige weltweite Gemeinschaft der Völker ist, in denen die Christen einen bedeutenden und bisweilen sogar überwiegenden Anteil ausmachen.

Die Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen war durch das Bestreben bedingt, eine Antwort auf die Herausforderungen der Nachkriegszeit zu finden. In den vergangenen Jahren hat sich die Welt jedoch stark verändert und heute sind die Christen der ganzen Welt mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Und genau davon, wie erfolgreich wir heute auf sie antworten werden, hängt es ab, ob unsere Organisation auch weiterhin gefragt sein wird. Die heutige Situation fordert von uns entschiedenere Handlungen, eine größere Geschlossenheit und eine größere Dynamik. Sie erfordert aber auch eine gewisse Neuorientierung unserer Arbeit, einen Wechsel der Prioritäten in den Diskussionen und Aktionen. Während wir fortfahren, in der angenehmen Atmosphäre von Konferenzen und theologischen Dialogen unsere Unterschiede zu erörtern, ertönt immer stärker die Frage: Wird die christliche Zivilisation überhaupt überleben?

In meinen Ausführungen möchte ich auf zwei Herausforderungen hinweisen, mit denen heute die gesamte christliche Welt in größerem oder kleinerem Ausmaß konfrontiert ist. Die erste Herausforderung ist der kämpferische Säkularismus, der in den sogenannten „entwickelten Ländern“ immer stärker wird, vor allem in Europa und Amerika. Die zweite Herausforderung ist der radikale Islamismus, der die Existenz des Christentums in einer ganzen Reihe von Regionen der Welt bedroht, vor allem im Nahen Osten, aber auch in einigen Ländern Asiens und Afrikas.

Der kämpferische Säkularismus in Europa hat eine lange Geschichte, die in die Epoche der Französischen Revolution zurückreicht. Aber erst im 20. (zwanzigsten) Jahrhundert wurde der Atheismus in den Ländern des sogenannten sozialistischen Lagers in den Rang einer Staatsideologie erhoben. Was die sogenannten kapitalistischen Länder betrifft, bewahrten sie in einem bedeutenden Maß jene christlichen Traditionen, die ihre kulturell-ethische Identität begründeten.

Heute haben diese zwei Welten gleichsam ihre Rollen gewechselt. In mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion, im Besonderen in Russland, in der Ukraine, in Belorussland und Moldawien, geht eine in ihrem Ausmaß beispiellose religiöse Renaissance vor sich. In der Russischen Orthodoxen Kirche sind in den vergangenen 25 (fünfundzwanzig) Jahren mehr als 25 Tausend neue Gotteshäuser gebaut worden oder aus den Ruinen wieder erstanden. Das heißt, dass etwa 1000 (eintausend) neue Kirchen pro Jahr neueröffnet wurden, etwa 3 (drei) Kirchen pro Tag. Es wurden mehr als 50 (fünfzig) geistliche Lehranstalten eröffnet, circa 800 (achthundert) Klöster, von denen sich jedes mit Mönchen und Nonnen füllte.

In einer ganzen Reihe von Ländern Westeuropas sind eine Verminderung der Zahl der Pfarrangehörigen und eine Krise der Berufungen zu beobachten, Klöster und Kirchen werden geschlossen. Und immer offener antichristlich wird die Rhetorik vieler Politiker und Funktionäre des Staates, die zu einer völligen Verdrängung der Religion aus dem öffentlichen Leben und zum Verzicht auf die grundlegenden ethischen Normen aufrufen, die ein gemeinsamer Besitz aller hauptsächlichen religiösen Traditionen sind.

Der Kampf zwischen der religiösen und säkularen Weltanschauung wird heute keineswegs nur in akademischen Hörsälen oder auf den Seiten der Zeitungen geführt. Und die Thematik des Konflikts beschränkt sich keineswegs auf die Frage des Glaubens oder Unglaubens an Gott. Heute hat die Konfrontation eine völlig andere Ebene erreicht und betrifft die Grundaspekte des Alltagslebens des Menschen.

Der kämpferische Säkularismus hat nicht nur religiöse Heiligtümer und Symbole im Visier und verlangt ihre Entfernung aus der Öffentlichkeit. Zu einem der Hauptziele seines Wirkens wird heute die zielstrebige Vernichtung der traditionellen Vorstellung von Ehe und Familie. Ein Zeugnis dafür sind die jüngste Erscheinung der Gleichstellung homosexueller Verbindungen mit der Ehe und das gleichgeschlechtlichen Paaren zugestandene Recht auf Adoption von Kindern. Vom Standpunkt der biblischen Lehre und der traditionellen christlichen sittlichen Werte aus bezeugt dies eine tiefe geistliche Krise. Der religiöse Begriff der Sünde schwindet endgültig in Gesellschaften, die sich noch bis vor Kurzem als christlich verstanden haben.

Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass es sich in diesem Fall nicht nur um eine weltanschauliche und ethische Option handelt. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen Diskriminierung werden in einer Reihe von Ländern Änderungen im Familienrecht durchgeführt. In den letzten Jahren wurden gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in einigen Staaten der USA, in einigen Ländern Lateinamerikas und in Neuseeland legalisiert. In diesem Jahr erhielten homosexuelle Partnerschaften den Status einer legalen „Ehe“ in Frankreich, England und Wales.

Man muss unumwunden sagen: Länder, die homosexuelle Lebensgemeinschaften gesetzlich als eine der Formen der Ehe anerkannt haben, machen einen ernsthaften Schritt in Richtung Zerstörung des Begriffs Ehe und Familie überhaupt. Und das geschieht in einer Situation, in der in vielen historisch christlichen Ländern die traditionelle Familie eine schwere Krise durchmacht: Es wächst die Zahl der Scheidungen, die Geburtenrate sinkt katastrophal, es degeneriert die Kultur der Familienerziehung, um schon nicht von der Ausweitung außerehelicher Beziehungen, von der Zunahme der Zahl der Abtreibungen und der Zunahme von Waisenkindern zu Lebzeiten der Eltern zu sprechen.

Statt auf jede nur mögliche Weise die traditionellen Familienwerte zu fördern und die Geburtenrate zu konsolidieren, wird die Rechtfertigung und Rechtmäßigkeit „gleichgeschlechtlicher Familien“, die Kinder erziehen, nicht nur materiell, sondern auch ideell ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Gesellschaft gestellt. Als Resultat erfolgen die Auflösung und die Ablöse der traditionellen Sozialrollen: Die Vorstellung von der Elternschaft – von Mutter und Vater, vom männlichen und weiblichen Prinzip – wird radikal verändert. Die Frau als Mutter verliert ihre urewige Rolle als Bewahrerin des häuslichen Herdes und der Mann als Vater seine Rolle des Unterweisers, der den Kindern das Gefühl der Verantwortung vermittelt. Die Ehe im christlichen Verständnis zerfällt und an ihre Stelle treten unpersönliche Ausdrücke wie „Elternteil Nummer eins“ und „Elternteil Nummer zwei“.

All das muss die verhängnisvollsten Auswirkungen auf die Erziehung der Kinder haben. Kinder, die in Familien mit „zwei Papas“ oder „zwei Mamas“ aufwachsen, werden unweigerlich eine andere Sichtweise der gesellschaftlich-ethischen Werte haben als ihre Altersgenossen aus traditionellen Familien.

Eine der direkten Folgen der radikalen Umdeutung des Begriffs Ehe ist die schwerwiegende demographische Krise, die bei Beibehaltung derartiger Handlungsweisen nur noch zunehmen wird. Die Politiker, die die Länder der zivilisierten Welt in den demographischen Abgrund stoßen, unterschreiben im Kern das Todesurteil für ihre eigenen Völker.

Welche soll die Antwort der christlichen Kirchen sein? Ich bin tief davon überzeugt, dass diese Antwort keine andere sein kann als die, die in der Göttlichen Offenbarung gründet und uns in der Bibel übermittelt wurde. Die Heilige Schrift ist die gemeinsame Grundlage, die alle christlichen Konfessionen verbindet. Es kann bei uns wesentliche Unterschiede in der Interpretation der Heiligen Schrift geben, aber die Bibel ist für uns eine und die sittliche Lehre ist dort ganz eindeutig dargelegt. Natürlich unterscheiden wir uns in der Deutung einiger biblischer Texte, wann sie eine unterschiedliche Deutung zulassen. Aber vieles ist in der Bibel völlig eindeutig gesagt – das, was aus dem Mund Gottes Selbst kommt und für alle kommenden Zeiten aktuell bleibt. Zu solchen Göttlichen Aussprüchen gehören auch viele sittliche Gebote, darunter auch solche, die sich auf die Familienethik beziehen.

Obwohl die Kirche gegen beliebige Formen von Diskriminierung auftritt, muss sie trotzdem das traditionelle christliche Verständnis der Ehe als eines Bundes zwischen Mann und Frau verteidigen, dessen wichtigste Aufgabe die Geburt und Erziehung von Kindern ist. Eben dieses Verständnis der Ehe finden wir auf den ersten Seiten der Bibel, in der Erzählung von der ersten menschlichen Ehe. Ein solches Eheverständnis finden wir auch im Evangelium und in den Apostelbriefen. Die Bibel kennt keine alternativen Eheformen und eine Lebensgemeinschaft gleichgeschlechtlicher Personen gilt als Sünde.

Leider finden heute nicht alle christlichen Kirchen den Mut und die Entschlossenheit, die biblischen Ideale gegen die Mode, die vorherrschende säkulare Weltanschauung, zu verteidigen. Einige christliche Gemeinschaften haben schon seit Langem den Weg der Revision der Sittenlehre beschritten, um sie den heutigen Strömungen anzugleichen.

Oft sagt man, dass die Unstimmigkeiten in theologischen und ethischen Fragen in Verbindung stünden mit der Teilung der Christen in Konservative und Liberale. Dem muss man in Anbetracht dessen zustimmen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften eine rasante Liberalisierung der religiösen Ethik vor sich geht – in der Regel unter dem Einfluss von Prozessen in der weltlichen Gesellschaft. Gleichzeitig darf man das Zeugnis der Orthodoxen Kirchen keineswegs auf einen Konservativismus zurückführen. Den Glauben der Alten Kirche, den wir Orthodoxe bekennen, kann man überhaupt nicht in den Kategorien von Konservativismus und Liberalismus festmachen. Wir bekennen die Wahrheit Christi, die unveränderlich ist, denn Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr 13,8).

Es handelt sich nicht um Konservativismus, sondern um die Treue zur Göttlichen Offenbarung, die in der Heiligen Schrift enthalten ist. Und wenn sich liberale Christen vom traditionellen Verständnis der sittlichen Normen abwenden, bedeutet dies, dass wir vor einem sehr ernsten Problem unseres gemeinsamen christlichen Zeugnisses stehen. Können wir ein solches Zeugnis ablegen, wenn wir in Fragen der Sittenlehre, die für das Heil ebenso wichtig ist wie die Glaubenslehre, so tief gespalten sind?

In diesem Zusammenhang möchte ich über die prophetische Berufung der Kirche sprechen. Ich rufe die Worte des Protopresbyters Aleksandr Šmeman in Erinnerung, der meinte, dass ein Prophet in keiner Weise derjenige sei, der die Zukunft voraussage. Er erinnerte an die eigentliche Bedeutung der Prophetie, als er schrieb: «Das Wesen der Prophetie liegt in der Gabe der Verkündigung des Willens Gottes an die Menschen; dieser Wille Gottes ist dem menschlichen Blick in den Ereignissen des menschlichen Lebens und der Geschichte verborgen, offenbart sich aber dem geistlichen Blick des Propheten» (Glaubensbekenntnis, 18).

Wir sprechen oft über die prophetische Stimme der Kirchen, aber unterscheidet sich denn unsere Stimme tatsächlich so stark von der Stimme und Rhetorik der weltlichen Massenmedien und NGO’s? Besteht nicht eine der wichtigsten Aufgaben des Ökumenischen Rates der Kirchen gerade darin, den Willen Gottes in der heutigen historischen Situation wahrzunehmen und ihn der Welt zu verkünden? Eine solche Botschaft wird von den Starken dieser Welt wohl eher schmerzlich aufgenommen werden. Wenn wir jedoch auf ihre Verkündigung verzichten, verraten wir unsere Berufung und letztendlich Christus Selbst.

In der jüngsten Situation, in der in vielen Ländern ein Prozess der Wiedergeburt der Religion vor sich geht, aber gleichzeitig der aggressive Säkularismus und ideologische Atheismus sein Haupt erhebt, muss der Ökumenische Rat der Kirchen seine eigenständige Stimme finden, die für die heutigen Gesellschaften verständlich ist und dabei die unvergänglichen Wahrheiten des christlichen Glaubens verkündet. Wir sind heute – wie auch zu jeder Zeit – berufen, Verkünder des Wortes Gottes zu sein, des Wortes, das lebendig und kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert ist (vgl. Hebr 4,12); des Wortes, das nicht gefesselt ist (vgl. 2 Tim 2,9). Erst dann können wir neue Seelen für Christus gewinnen, ungeachtet des Widerstandes der Beherrscher dieser finsteren Welt (vgl. Eph 6,12).

Ich komme jetzt zur zweiten globalen Herausforderung der gesamten christlichen Welt – zur Herausforderung des Radikalismus auf religiösem Boden, im Besonderen des radikalen Islamismus. Ich verwende diesen Begriff im klaren Bewusstsein, dass der Islamismus keineswegs ident ist mit dem Islam, sondern ihm in vielem widerspricht. Der Islam ist eine Weltreligion, die zur Koexistenz mit anderen religiösen Traditionen fähig ist, was zum Beispiel die jahrhundertelange Erfahrung der Koexistenz von Christen und Muslimen in Russland belegt. Aber der radikale Islamismus, der auch Wahhabismus oder Salafismus genannt wird, ist eine Strömung innerhalb der islamischen Welt, die sich die Errichtung eines weltweiten islamischen Kalifats zum Ziel gesetzt hat und in der es keinen Platz für Christen gibt.

Ich werde jetzt nicht die Gründe des Entstehens und des zielstrebigen Wachstums dieses Phänomens erörtern. Ich will nur darüber sprechen, dass in den letzten Jahren die Christenverfolgungen ein kolossales Ausmaß angenommen haben. Laut Angaben der Menschrechtsorganisationen stirbt alle fünf Minuten ein Christ für den Glauben und jedes Jahr erleiden mehr als 100 (einhundert) Tausend Christen einen gewaltsamen Tod! Entsprechend den veröffentlichten Daten werden heute in der Welt nicht weniger als 100 (einhundert) Millionen Christen diskriminiert und verfolgt. Informationen über Unterdrückung von Christen kommen aus dem Irak, aus Syrien, Ägypten, dem Sudan, Afghanistan, Pakistan und einer ganzen Reihe anderer Länder. Unsere Brüder und Schwestern werden getötet, aus ihren Häusern vertrieben, von Verwandten und Freunden getrennt und ihres Rechts beraubt, ihren Glauben zu bekennen und ihre Kinder entsprechend ihren religiösen Überzeugungen zu erziehen. Die Christen sind die meistverfolgte Glaubensgemeinschaft auf unserem Planeten.

Leider kann man die Fälle von Diskriminierung der christlichen Minderheit nicht mehr als Einzelerscheinungen sehen: In einigen Regionen der Welt nehmen sie den Charakter eines anhaltenden Trends an. Infolge des andauernden Konflikts mehren sich in Syrien die grausamen Morde an Christen, Kirchen und Heiligtümer sind zerstört. Die Kopten – die Urbevölkerung Ägyptens – erleiden heutzutage Überfälle und Pogrome, viele sind gezwungen, ihr Land zu verlassen. Die internationale Gemeinschaft unternimmt keine Maßnahmen, die die Situation wenigstens teilweise verbessern würde.

Der Radikalismus im religiösen Milieu nimmt nicht nur in Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit zu. Man darf auch nicht die Situation im asiatischen Raum übersehen, wo die jetzige Vollversammlung stattfindet. In dieser Region wachsen und entwickeln sich die christlichen Gemeinden dank der Anstrengungen der Missionare schon mehr als 300 (dreihundert) Jahre. Nach den Angaben von Experten hat in den letzten zehn Jahren die Diskriminierung der Christen in der Region um ein Vielfaches zugenommen. Besonders ungünstig ist die Situation in Indien, wo die Gewalt gegen Christen hauptsächlich von Seiten radikaler Hindus mit größter Geschwindigkeit zunimmt. Große Befürchtungen ruft die Lage der christlichen Gemeinden in Indonesien hervor, wo in den letzten zwei Jahren das Ausmaß der Aggression gegen Christen bedeutend zugenommen hat. Nachrichten über Diskriminierung von Christen treffen auch aus anderen Ländern Asiens ein.

Wir müssen uns heute bewusst werden, dass eine unserer wichtigsten bevorstehenden Aufgaben der Schutz der verfolgten Brüder und Schwestern in verschiedenen Regionen der Welt ist. Diese Aufgabe erfordert eine unaufschiebbare Entscheidung, für die wir alle nur möglichen Mittel und Instrumente einsetzen müssen – diplomatische, humanitäre, ökonomische und andere. Das Thema der Christenverfolgung muss im Kontext der interchristlichen Zusammenarbeit erörtert werden. Nur durch gemeinsame energische Anstrengungen können wir unseren leidenden Brüdern und Schwestern in Christo helfen.

In dieser Beziehung macht heute die Römisch-Katholische Kirche viel. Es existieren christliche Organisationen, die sich mit der Überwachung der Situation befassen und humanitäre Hilfsgüter für die leidenden Christen sammeln. Auch unsere Kirche nimmt an dieser Arbeit teil. Ich meine, gemeinsame Konferenzen, Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den christlichen Menschenrechtsorganisationen, die sich mit diesem Problem beschäftigen, werden von Nutzen sein.

Die Rechte der Christen können nur gewährleistet werden, wenn der Dialog der Glaubensgemeinschaften sowohl auf innerstaatlichem als auch auf internationalem Niveau unterstützt wird. Daher wird der interreligiöse Dialog zu einem der wichtigsten Tätigkeitsfelder des Ökumenischen Rates der Kirchen. Ich bin überzeugt, dass wir der Entwicklung eines tiefen und interessierten Austausches mit den traditionellen Religionen, vornehmlich mit dem Islam, größere Aufmerksamkeit schenken müssen.

Der Ökumenische Rat der Kirchen bemüht sich bereits, die Aufmerksamkeit auf das Problem der Christenverfolgung zu lenken. Als Beispiel kann die im Januar 2012 im Libanon organisierte christlich-muslimische Konsultation zum Thema „Die christliche Präsenz und das christliche Zeugnis in der arabischen Welt“ angeführt werden, und auch die im Mai dieses Jahres ebendort veranstaltete Konferenz über die Verfolgung von Christen, an der der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen teilnahm. Ich möchte auch die Arbeit des Rates zur Verminderung der Spannungen in Syrien, zur Prävention einer weiteren Eskalation des Konflikts und zur Verhinderung einer militärischen Einmischung von außen erwähnen.

Der Apostel Petrus sagt, wobei er sich an die Bekenner des christlichen Glaubens wendet: Freut euch, dass ihr Anteil an den Leiden Christi habt; denn so könnt ihr auch bei der Offenbarung Seiner Herrlichkeit voll Freude jubeln (1 Petr 4,13). Dieser Worte gedenkend wünschen wir im Gebet, der Allerbarmende Herr möge den Betrübten und Unterdrückten Freude und Trost spenden, damit sie in der Erfahrung der Hilfe und des Mitleidens ihrer geographisch weit entfernten, aber im Glauben nahen Brüder und Schwestern in sich die Kraft finden, mit der Hilfe der Gnade Gottes auf dem Weg der Standhaftigkeit im Glauben weiterzugehen.

Am Ende meines Vortrages möchte ich den christlichen Gemeinden Südkoreas für die uns erwiesene Gastfreundschaft und die ausgezeichnete Organisation eines so großen Forums, wie es die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen ist, aus ganzem Herzen danken. Die Russische Orthodoxe Kirche fühlt mit dem koreanischen Volk in seinen Bemühungen um Einheit verbunden und unterstützt in Gebet und Taten den Prozess der Überwindung der Spannungen zwischen den beiden Staaten der koreanischen Halbinsel.

Uns allen, den Teilnehmern an der Vollversammlung, möchte ich Gottes Hilfe in der gemeinsamen Arbeit und in der Arbeit wünschen, die jeder von uns in seiner Kirche und Gemeinschaft vollbringt. Möge unser Zeugnis zu jenem Wort der Wahrheit werden, das die Welt heute sosehr benötigt.

Ökumenischer Rat der Kirchen

10. Vollversammlung

30. Oktober – 8. November 2013 Busan, Republik Korea

 Übersetzung aus dem Russischen: Diakon Ioann Krammer

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