Die Worte, die wir gerade gehört haben, sind an jeden von uns gerichtet. Wir leben in einer tragischen Welt, in der - sei es seelisch oder geistig, aber auch materiell - eine Unmenge von Menschen leiden. Oft jedoch – nicht mit Worten, sondern durch unser Tun – fragen wir: Bin ich verpflichtet diesem oder jenem Menschen zu helfen? Wer ist mein Nächster? Etwa nicht meine Familie und alle diejenigen, die mir am Herzen liegen? Die heutige Lesung aus dem Evangelium jedoch sagt uns mit völliger Klarheit, dass unser Nächster der ist, der in Not ist und der uns braucht, dem wir helfen können und an dem wir nicht vorbeigehen, ja, für den wir bereit sind, selbst Opfer zu bringen und uns selbst aufzuopfern. Niemand hat eine größere Liebe als der, der bereit ist, sein Leben hinzugeben für seine Freunde. Sein Leben kann man hingeben, indem man als Märtyrer oder auf einem Schlachtfeld stirbt. Doch man kann es auch Tag für Tag denen geben, die in Not sind, mit Mitgefühl und Liebe, so wie auch der Herr, Gott selbst, sich uns damals ganz zugewandt hat, als sich die gesamte Menschheit gegen ihn gestellt hatte und Ihm feindlich gegenüberstand. So wendet Er sich auch heute jedem von uns zu, wenn wir in unserem Leben in dunkle Abgründe gerutscht sind, sodass wir tiefer schon gar nicht mehr fallen können und uns so weit von Ihm entfern haben, wie wir es uns kaum vorstellen können. Denn nur Gott kann es ermessen, wie weit wir uns von ihm losgelöst haben und von Ihm gegangen sind. Nur Er kann das ganze Ausmaß der Leere in unserem Leben, wo Er eigentlich Seinen Platz haben sollte, begreifen.
In Kürze beginnt die Fastenzeit vor Weihnachten und die etwas Frommeren unter uns beginnen auf die eine oder andere Speise zu verzichten. Doch besteht etwa darin der Sinn des Fastens? Nur darin, dass man sich in seinen Essgewohnheiten einschränkt, oder vielleicht auch in anderen eher sehr belanglosen Alltagsfreuden? Hört einmal, was der Herr durch den Propheten Jesaja über das Fasten sagt: Schrei laut! Halte dich nicht zurück! Erhebe deine Stimme, einer Trompete gleich und zeige meinem Volk seine Gesetzlosigkeit und Sünden! Sie suchen Mich jeden Tag und wollen meine Wege erkennen, wie ein Volk, das gerecht verfährt und das Gesetz Gottes nicht aus den Augen lässt. Sie rufen Mich an als Richter der Wahrheit, wollen sich Mir nähern und fragen: „Warum fasten wir und Du siehst es nicht? Warum schränken wir uns ein, und du scheinst es gar nicht zu wissen?“ Aber auch an den Tagen, an denen ihr fastet, tut ihr, was ihr wollt und fordert von anderen, dass sie hart für euch arbeiten! Ihr fastet, doch hört dabei nicht auf, euch zu streiten. Ihr liegt in Fehden und mit loser Hand schlaget ihr auf andere ein. Dies ist aber kein Fasten, was ihr da tut in dieser Zeit, dass eure Stimme erhört werde in der Höhe! Habe ich etwa ein solches Fasten erwählt: einen Tag, an dem der Mensch seine Seele peinigt, seinen Kopf beugt wie ein Schilfrohr und sich in Lumpen und Asche niedersetzt? Dies also nennt ihr Fasten, einen solchen Tag, der des Herrn würdig ist? Dies jedoch ist das Fasten, welches ich ausersehen habe: Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit, löse das Joch von den Schultern, entlasse die Unterdrückten in die Freiheit, löse sämtliche Lasten, teile mit den Hungernden dein Brot und führe die, die umherirren in dein Haus. Wenn du einen Nackten siehst, dann gib ihm Kleidung. Verstecke dich nicht vor den deinen! Denn dann wird wie die Morgenröte dein Licht aufscheinen und du wirst in allem gesunden und überall wird dir Gerechtigkeit wiederfahren und die Herrlichkeit des Herrn mit dir sein.“ (Jes. 58, 1-8)
Werden wir etwa diesem Tag, an dem unser Herr und Gott Fleisch angenommen hat, um in die Sphäre des Todes zu treten – Er, der Ewige! – an dem Er aus freiem Willen in die Welt der Leiden eintrat um unser willen, entgegengehen, indem wir uns weiterhin damit abfinden, dass wir weit von Ihm entfernt sind? Denn wir sind in der Tat weit von Ihm entfern, wenn wir unseren Nächsten hassen, wenn wir ihm aus dem Wege gehen und es ablehnen, ihm zu vergeben, wenn wir uns abwenden von denen, die uns nach Barmherzigkeit ersuchen und brauchen: nicht nur ein Stück Brot oder ein Obdach – auch dies ist nötig! – sondern die nach unserer Vergebung dürsten, nach unserem Herz, dass es sich ihrer erbarmt. Werden wir etwa so den Herrn empfangen, Der dazu gekommen ist, um die Sünder zu erlösen, indem wir die verachten und umgehen, die wir als Sünder betrachten, die uns gekränkt haben und empören, obwohl wir selbst ihnen Wunden zugefügt haben? Können wir den Herrn etwa unter solchen Umständen und Bedingungen empfangen?
Lasst uns also hineinhören in den Ruf des Jesaja, um zu begreifen, zu was für einem Fasten der Herr uns ruft und wie wir uns bereiten sollten für die kommende Weihnacht. Wir sollten auf die Geburt Christi schauen und sie voller Ehrfurcht erwarten. Denkt daran, wie die Hirten diesem Ereignis entgegengeschaut hätten - Menschen mit einem reinen Herz, einfache Seelen und ohne Kompliziertheit, die noch nicht verdorben worden waren durch den Betrug dieser Welt - wenn sie doch nur gewusst hätten, dass in dieser Nacht die Engel ihnen vom Himmel her die Geburt des Gottessohnes verkünden werden, dann hätten sie Tag und Nacht an nichts anderes denken können, hätten nur dafür gelebt, denn alles andere hätte für sie seinen Sinn verloren, was einfach oberflächlich, billig, egoistisch und gottlos ist. Sie hätten ganz in diesem Traum gelebt, voller Erwartung!
Wir aber leben ohne einen Traum und ohne jegliche Erwartung. Wir wissen, dass es damals so geschehen ist und warten auf diesen Tag, wenn wir kurz davor sind. Werden wir etwa diesem Tag entgegengehen und so fasten, wie es der Prophet Jesaja beschreibt, indem wir uns nur mit dem Verzicht auf einige Speisen und anderen äußerlichen Dingen einschränken und dabei vergessen, dass die Fastenzeit dazu gedacht ist, uns von ganzer Seele zu Gott zu reißen und mit ganzem Herzen und all unseren Gedanken und mit festem Willen nicht nur Gott zu lieben, sondern auch jeden unserer Mitmenschen, Kränkungen zu vergeben, jedem in Not zu helfen und jedem Menschen mit Göttlicher Liebe zu begegnen, die sich in unser offenes Herz ergießt?
Amen