29.7.1979
Ich möchte heute zwei völlig unterschiedliche Ereignisse in einem Gedanken verbinden, sie quasi mit einander verknoten.
In der Lesung aus dem Evangelium haben wir heute gehört, wie der Heiland zwei Blinde geheilt und einen Besessenen aus der Knechtschaft befreit hat, in der ihn eine finstere Macht gefangen hielt. Als sie Ihm folgen und Seine wundertätige Kraft allen Menschen verkünden wollten, trug Er ihnen auf, zu schweigen. …
Nicht allen gebot der Heiland, voller Ehrfurcht und Integrität darüber Schweigen zu bewahren, was er für sie getan hatte. Einige jedoch bat Er darum. Und wenn wir darüber nachsinnen, warum, dann werden in uns so viele eigene Erinnerungen wach, wie es denn mit uns gewesen ist. Wie oft geschieht es, dass wir spüren, wie sich uns die Gnade Gottes nähert. Es scheint manchmal, als ob wir mit der Hand den Saum des Gewandes des Herrn zu ergreifen beginnen, dass der Herr Selbst sich in manchen Augenblicken in unser Leben ergießt. Oft erwarten wir es gar nicht, oft sogar wollen wir es vielleicht auch gar nicht. Doch alles wird dann anders.
Und manchmal können wir dieses Mysterium nicht für uns behalten, bevor es in unserer Seele herangereift ist, bevor die zwei grundlegenden Früchte gedeihen konnten: Dankbarkeit und Demut. Dankbarkeit dafür, dass Gott Selbst sich uns nähert und Demut, weil dies eigentlich, wenn Er nicht so barmherzig, nicht so wunderbar wäre, mit uns so gar nicht geschehen dürfte. Die Heiligen wurden gerade deshalb immer mehr mit Demut erfüllt, weil der Herr Ihnen nahe war und sie sahen, wie heilig Er ist und wie groß Seine Herrlichkeit. Und im Angesicht Seiner Größe begriffen sie erst wirklich, wie unwürdig sie selbst doch Seiner Liebe sind.
Doch wenn wir vor der Zeit, also bevor in uns die rechte Demut gewachsen ist, bevor wir im vollen Maße Dankbarkeit empfinden können, von den Gaben Gottes an uns zu reden beginnen, dann tun wir dies am Anfang noch voll lebendigen Gefühls und die Menschen hören uns zu und danken. Doch schnell schon vergessen wir, dankbar zu sein und hören auf, Demut zu empfinden und denken nur noch daran, dass dies „mit uns geschehen ist“, wobei dergleichen vielen anderen nicht passiert ist. Und so nisten sich mit der Zeit Hochmut und Stolz in unserer Seele ein.
Dies wird auch von den Menschen um uns herum genährt, die wiederholt unsere Erzählung davon, was der Herr für uns getan hat, hören wollen und beginnen, in uns nicht das zu sehen, was wir eigentlich sind. Dabei vergessen wir alle, dass genau dort, wo der Sünden viele sind, wo Hilfe besonders Not tut, wo der Mensch allein nicht mehr zurechtkommt, die unbesiegbare Göttliche Gnade besonders stark wirkt. Und die Menschen und wir vergessen, dass der Herr in unser Leben eintritt, weil wir in Wirklichkeit so schwach und kraftlos sind und unfähig der Aufgabe unseres Lebens gerecht zu werden, d.h. zur vollen Größe des Menschseins, der Größe Christi heranzuwachsen. …
Vor zwei Wochen haben wir hier eine Andacht abgehalten zum Dank an Gott dafür, dass Er als Antwort auf unsere Gebete, als Entgegnung auf unsere Bedürftigkeit, als Erwiderung auf unseren in seiner Kraft eingeschränkten Glauben uns die Möglichkeit geschenkt hat, eine Kirche zu erwerben: d.h. eine Kirche nicht zu unserem Eigentum zu machen, sondern zu Seinem Eigentum, zu einem Gotteshaus der Orthodoxen Kirche. Hier steht nun eine Kirche, die der Russischen Kirche gehört, der Orthodoxen Kirche, in der das Wort des Lebens gepredigt wird. Und es scheint - und dies spürt man die ganze Zeit schon – dass es so einfach ist, zu sagen: Nun gehört diese Kirche uns. Wir neigen leicht dazu, etwas zu unserem Eigentum zu erklären, was in Wirklichkeit Gott gehört, sich für etwas zu rühmen, was Gottes ist, zu denken, dass wir etwas besitzen, was wir doch nur für Gott geschaffen haben und für die Menschen, die diese Kirche, die die Orthodoxie in ihrem Leben brauchen werden.
Dieses sollten wir bedenken, bevor sich in uns der Gedanke festsetzt, Eigentümer zu sein. Bevor wir diese Kirche noch nicht zu einer irdischen Kirche gemacht haben, sollten wir uns dessen bewusst sein und unsere Hände öffnen, die die Kirche allmählich ganz umfassen wollen und zum Herrn sagen: Herr, nimm von uns diese Kirche. Möge sie Deine sein und nicht unsere! Das Deine von dem Deinen bringen wir Dir dar. Du hast sie uns gegeben, wir geben sie Dir ganz zurück, denn sie ist ein Ort, in dem Du wohnst, in dem Du ganz gegenwärtig bist. Möge sie ganz und gar Dir gehören. Wir jedoch werden in diese Kirche kommen, wie man das Paradies betritt, wie man ins Gottesreich eintritt, denn sie ist nicht unser, sondern Dein. Lasst uns auch andere Menschen rufen: Kommt und tretet ein in das Reich des Herrn! Es ist nicht unser Reich, es ist das Reich des Herrn. Wir sind seine Kinder, so wie auch ihr seine Kinder seid. Kommt und lasst uns gemeinsam Freude haben an unserem Herrn!
Lasst uns dies bedenken und vorsichtig sein, denn sonst können wir sie durch unsere Schwachheit, durch unsere Anfälligkeit und Blindheit Gott und Seiner Herrlichkeit entreißen, ohne sie selbst besitzen zu können. Wir können nicht nur all unsere Demut und Dankbarkeit, mit denen wir vor zwei Wochen: „Wer ist so groß, wie unser Gott, Du bist unser Gott, Der Wunder tut“ gesungen haben, zertreten. Er hat mit uns ein Wunder geschehen lassen und wir sollten diesem Wunder dienen und es uns nicht zu Eigen machen! Wir sollten all unsere Kräfte, unser gesamtes Leben dieser Kirche und dem Leben im ihr widmen, sie vor Besudelung bewahren und sie beschützen, damit viele sie betreten werden und in ihr nicht uns, sondern den Heiland Selbst, Jesus Christus, finden können!
Amen