Zum Sonntag der Vergebung
„Lasst uns deshalb aufmachen in dieses Reich! An der Schwelle zu ihm steht das Kreuz des Herrn, danach Seine Auferstehung. Lasst uns so gehen, wie diesen Armen und Bettler: Lasst uns vergessen, was uns dann und wann entzweit hat – Feindschaft, Konkurrenz, Missverständnisse und Hass. Lasst uns, wenn wir auf dem Weg sind, einzig und allein daran denken, vor Wen wir treten werden! Lasst uns so gehen, dass wir würdig vor dem Herrn erscheinen können, dass Er uns annimmt. Dafür ist nur eines nötig: dass wir einander annehmen und vergeben in Liebe, dass wir die Schwachen auf dem Weg stützen, den Kraftlosen helfen, den Verzweifelten Hoffnung machen und jedem helfen, ans Ziel zu kommen.“ – aus einer Predigt zum Sonntag des Vergebens von Metropolit Antonij von Sourozh
Статья

04.03.1979

Vor einigen Wochen haben wir jenes Gleichnis des Heilands gelesen, das uns davon berichtet, wie ein König seine Freunde zum Mahl seines Sohnes geladen hatte.

Alle haben sich bei dem Fest in letzter Minute entschuldigen lassen. Der eine, weil er ein Stück Land gekauft hatte und es nun mit seiner Hilfe zu etwas bringen wollte. Er wollte es sich zu Eigen machen und es besitzen. Aber schon im Alten Testament heißt es: Du bist aus Staub und zu Staub wirst du werden. Schon vor dem Tod also verband sich dieser Mensch mit der Erde, aus der der Barmherzige Gott ihn einst herausgerufen hatte.

Andere entsagten dem Fest, weil sich für sie auf der Erde etwas Wichtiges gefunden hatte und es ihnen schien, dass sie auch später noch die Freude mit ihrem Freund teilen werden können. Denn seine Sachen auf der Erde kann man nur jetzt erledigen, ebenso wie  kreativ zu etwas Nütze sein. Sie entsagten der Freundschaft, weil sie etwas zu tun hatten. Das, was vorzogen, hatte vielleicht auch mit Liebe zu tun, aber mit Selbstliebe, denn sie taten etwas für sich selbst, nichts jedoch für die Liebe.

Der Dritte sagte ab, weil er geheiratet hatte. Seine Seele war voller Freude und deshalb gab es in ihr nun keinen Platz mehr, um auch die Freude eines anderen zu teilen.

All die Geladenen blieben so außen vor und nahmen nicht teil an dem Mahl, denn sie hatten die Erde, sie zu besitzen, auf ihr zu wirken, die irdische Freude gewählt und lehnten es ab, weiter zu gehen, sich zu vergessen und sich dorthin aufzumachen, wohin zu kommen, man sie gebeten hatte, damit die Freude eines anderen vollkommen sei und sich über den Rand ergießen kann. Und der König wurde zornig und entschied, diese drei zum Mahl nicht mehr hereinzulassen. Doch das Mahl sollte nicht leer bleiben. Es gab große Freude, sie sollte mit Gästen geteilt werden. Doch wer wollte sie mit ihm teilen? Und er schickte seine Diener in die Gassen, um dort aus den dunklen Winkeln die Armen und die Lahmen, die Blinden und die Vagabunden zu rufen, damit sie zu ihm kämen und mit ihm seine Freude teilten. Und sie kamen. Voller Verwunderung. Ehrfürchtig näherten sie sich dem königlichen Palast. Wie sollten sie ihn betreten? Denn das Leben auf der Straße hatte ihre Kleidung zerschlissen, ihre Sandalen waren kaputt, ihr Körper voller Schmutz! Wie sollten sie nun so einen Fuß in den königlichen Palast setzen?

Und so gingen sie, die wahrscheinlich in ihrer Armut so oft miteinander stritten, die sich ankeiften und um ein Stück Brot oder sich um eine von Passanten ihnen zugeworfenen Kupfermünze in die Haare kamen, die sich rauften um einen warmen Schlafplatz hinter einer schützenden Mauer – sie alle wurden ganz still. Sie gingen und hatten all ihr Gestreite vergessen. All ihre Feindschaft und ihr Gegeneinander waren verschwunden. Sie gingen und dachten nur an eins: Wir werden wir, wie werde ich, vor den König treten? Ich, in Lumpen, ausgemergelt vom Leben, besudelt an Leib und Seele! Wie werde ich vor ihm stehen können? Und keiner dachte mehr daran, wie man den anderen vom Weg abbringen könnte, um dessen Platz einzunehmen oder um erster zu sein. Jeder dachte wahrscheinlich vielmehr daran, wie er es schaffen könnte, als letzter hineinzutreten, damit man ihn nicht bemerkt und man sich so seiner erbarmt.

So machen auch wir uns nun auf ins Himmelreich. Alle wir, die wir uns mit unserer ganzen Seele an die Erde geheftet haben, für die ihre irdischen Angelegenheiten wichtiger sind als die Ewigkeit und die Liebe, die wir unsere Freude für uns bewahren wollen und kein Interessen daran haben, uns mit anderen zu freuen, die wir es eigentlich nicht so richtig vorhaben, uns ins Himmelreich aufzumachen. Der Herr ruft alle zu sich, die so oder so, aus Weisheit oder Wahnsinn, begriffen haben  - wie reich die Erde auch sein mag, wie inspirierend es auch sein kann, auf der Erde kreativ zu wirken, wie wunderbar auch Beziehungen unter Menschen auf der Erde sein können -  dass all dies nur deshalb voller Schönheit funkelt, weil in all dem schon die Ewigkeit beginnt. Denn dadurch ist die Welt so wunderschön, weil sie dazu auserkoren ist, zu einer neuen Erde, zum Himmelreich verklärt zu werden. So auch wir, die wir hier versammelt sind. So auch Millionen von Menschen, im heimischen Russland, die ihre Heimat lieben und all ihre Kräfte zu dessen Ruhm einsetzen wollen,  dass es ein Ort des Glückes, des Friedens und der Freude für alle wird, und die wissen, dass hinter der irdischen Freude das Morgenrot des Ewigen Lebens anbricht, dass Gott Mensch geworden ist und damit alles Irdische geweiht hat und uns Menschen in Sein ewiges, wunderbares Reich geladen hat. 

Lasst uns deshalb aufmachen in dieses Reich! An der Schwelle zu ihm steht das Kreuz des Herrn, danach Seine Auferstehung. Lasst uns so gehen, wie diesen Armen und Bettler: Lasst uns vergessen, was uns dann und wann entzweit hat – Feindschaft, Konkurrenz, Missverständnisse und Hass. Lasst uns, wenn wir auf dem Weg sind, einzig und allein daran denken, vor Wen wir treten werden! Lasst uns so gehen, dass wir würdig vor dem Herrn erscheinen können, dass Er uns annimmt. Dafür ist nur eines nötig: dass wir einander annehmen und vergeben in Liebe, dass wir die Schwachen auf dem Weg stützen, den Kraftlosen helfen, den Verzweifelten Hoffnung machen und jedem helfen, ans Ziel zu kommen.

Wir treten nun in die Große Fastenzeit ein. Sie führt uns hin zur Karwoche, mit der der Heiland die Sache unserer Erneuerung vollendet und vor uns die Tore zur Ewigkeit öffnet. Lasst uns uns zusammen auf diesen Weg machen und auch gemeinsam ans Ziel gelangen. Denn dann wird die Freude übergroß sein: Freude beim Herrn, Freude bei der Gottesmutter, bei unseren Schutzengeln, bei den Heiligen, die genauso wie wir einst diesen Weg gegangen sind. Und welche Freude werden erst all die Armen und Benachteiligten haben! Was für eine Freude wird in uns erstrahlen, wenn wir alle zusammen in die große Barmherzigkeit, das Mitleid, die Liebe und den Jubel des Himmelreiches eingehen werden!

Amen
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