1976
Wir haben heute das Gleichnis vom Zöllner und vom Pharisäer gehört. Darin erzählt uns der Heiland, dass der Zöllner, als er den Tempel verließ, reicher gesegnet war von Gott als der Pharisäer. Heißt dies etwa, dass all die guten Dinge des Pharisäers, sein wirklich tugendendhaftes Leben, für Gott nichts bedeuten und, dass nur der eine Seufzer des Zöllners diesen das Heil erlangen ließ und ihn über den Pharisäer stellte?
Nein. Die Verse, die wir dieser Tage in der Kirche singen, sagen uns, dass wir den Stolz des Pharisäers fliehen und uns an der Demut des Zöllners ein Beispiel nehmen sollen. Gleichzeitig fordert uns die Kirche auch dazu auf, wirkliche und wahre Tugenden zu erlernen. Wenn diese uns jedoch einen Anlass dazu geben, uns selbst zu erhöhen, dann wäre es besser, diese Tugenden gar nicht erst zu besitzen, dann wäre gar nichts noch besser, denn dann hätten wir wenigstens die Chance, aufrichtig und kummervoll uns eingestehen zu müssen, dass wir nichts sind vor Gott.
Wir sind dazu berufen, die Herrlichkeit Gottes zu sein. Wir sind aufgerufen, so zu leben, dass die Menschen, wenn sie unsere guten Taten sehen, Gott preisen und von Ihm angerührt sind, dass Er es uns - die wir ja ebenso Menschen sind wie alle anderen - lehren konnte, ein Leben in einer solchen Heiligkeit und Güte zu führen, wie wir sie bei den Heiligen sehen. Gleichzeitig jedoch sollte uns ein solches rechtschaffendes Leben zu einem Bewusstsein führen, dass nur Gott allein unendlich heilig und vollkommen ist und dass es uns vor Ihm nicht zusteht, uns irgendeiner Tugendhaftigkeit zu rühmen, zu der wir ohne Seine Hilfe gar nicht in der Lage gewesen wären. Es gibt bei uns natürlich Anflüge von Güte, doch die Kraft, diese auch in die Tat umzusetzen und dies ein ganzes Leben lang, damit unser Leben voll des Glanzes der Herrlichkeit Gottes sei, kann uns nur durch die Barmherzigkeit Gottes gewährt werden.
Deshalb ist es notwendig, dass wir einerseits mit aller Kraft darum ringen, dass unser Leben ein vollkommenes sei, dass die Menschen, wenn sie uns sehen, wunderbar berührt sind davon, was uns der Herr gelehrt hat. Gleichzeitig sollten wir es aber auch lernen, uns vor Gott in Demut und Liebe, in Freude und Ehrerbietung zu verneigen. Denn, wenn wir wirklich mit uns selbst um innere Reinheit und Licht, für das Gute in uns und die Wahrheit ringen, dann begreifen wir immer mehr, dass nur Jesus Christus der einzig Heilige und nur in Ihm die Schönheit vollendet ist.
Ein einziger Seufzer hat den Zöllner wirklich das Heil erlangen lassen, so auch ein einziger Schrei den Räuber am Kreuz. Ein einziges Wort aus der Tiefe unseres Herzens reicht aus, dass sich die Liebe Gottes vor uns ausbreitet. Wir können jedoch mit einem solchen letzten Schrei uns nicht von dem befreien, wozu wir das ganze Leben hindurch berufen sind. Wir haben kein Recht darauf zu spekulieren, dass wir, wenn wir irgendwie unser Leben so dahingelebt haben, weder uns noch Gott würdig, dann im letzten Augenblick sagen können: Herr sei mir Sünder gnädig! – und dass der Herr uns dann auch diese Worte glaubt. Gott hört jedes Wort aus der Tiefe des Herzens, doch keines, welches man vorher lange geplant hatte und welches wir in der Hoffnung aussprechen, dass ein einziges leeres Wort ein ganzes Leben aufwiegen kann. Deshalb sollten wir uns in dieses Gleichnis hineindenken. Jetzt ist die Zeit dazu. Die Kirche ruft uns dazu auf. Wir sollten in uns gehen, um dann bereits vorbreitet die Fastenzeit zu beginnen.
Amen