Die Heilung des besessenen Geraseners(Lk. 18,26-39)
„Auf der anderen Seite sehen wir das Verhältnis des Heilandes Jesu Christi zu dem Besessenen. Vor Ihm steht die ganze Tragödie der Welt und … indem Er sie in diesem einzelnen Menschen verkörpert sieht, lässt Er alles andere hinter sich, um diesen einen Menschen zu retten. Sind auch wir dazu in der Lage? Können wir die großen Aufgaben, von denen wir träumen, einfach vergessen, um unsere gesamte Aufmerksamkeit und unser Herz vollends und schöpferisch zu konzentrieren und uns tragisch, ja sich opfernd, hinzugeben, um die Not eines Einzelnen zu lindern, dem zu helfen wir theoretisch in der Lage sind?“ – aus einer Predigt zur Heilung des Geraseners von Metropolit Antonij von Sourozh
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„Auf der anderen Seite sehen wir das Verhältnis des Heilandes Jesu Christi zu dem Besessenen. Vor Ihm steht die ganze Tragödie der Welt und … indem Er sie in diesem einzelnen Menschen verkörpert sieht, lässt Er alles andere hinter sich, um diesen einen Menschen zu retten. Sind auch wir dazu in der Lage? Können wir die großen Aufgaben, von denen wir träumen, einfach vergessen, um unsere gesamte Aufmerksamkeit und unser Herz vollends und schöpferisch zu konzentrieren und uns tragisch, ja sich opfernd, hinzugeben, um die Not eines Einzelnen zu lindern, dem zu helfen wir theoretisch in der Lage sind?“ – aus einer Predigt zur Heilung des Geraseners von Metropolit Antonij von Sourozh

Die Geschichte, die wir gerade gehört haben, stellt uns vor drei unterschiedliche Dinge, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Erstens, das Verhältnis der Mächte des Bösen, der Dämonen zu einem Menschen, der besessen. Diese Mächte versuchen ihn auf verschiedenste Weise in ihre Gewalt zu bringen und trachten dabei nichts an ihm übrig zu lassen, was ihnen nicht gehörig ist, was ihnen nicht bis ins Letzte gehört, was sie nicht ausnutzen könnten, um ihr Unwesen zu treiben. Diesen dämonischen Mächten könnte man im Einzelnen auch mit den Namen aller Sünden der Menschen benennen. Wenn wir es nur einer Sünde erlauben, Macht über uns auszuüben, dann macht sie uns zu ihrem Sklaven. (Darüber schreibt der Apostel Paulus sehr ausführlich). Wenn wir aber zu Knechten der Sünde geworden sind, dann wissen wir, wie das Leben eines solchen Menschen aussieht: Er verprasst seine Tage auf der Erde als Werkzeug des Bösen, voller Sinnlosigkeit und Leid, ausgerichtet auf das Böse.

Dahinter jedoch steht noch etwas viel grauenvolleres. Die Dämonen baten Christus, dass Er sie in eine Herde Schweine schicken möge. Diese Tiere galten den Juden als unrein. Die Wahl der Schweine durch die Dämonen bedeutet gleichfalls, dass all das Böse, welches in uns seinen Platz hat, welches wir tun, zu welchem wir uns hingezogen fühlen, dem wir Macht über uns geben, eine Besudelung unserer selbst darstellt und uns zum Abschaum macht. Wohin eine solche Knechtschaft dem Bösen führt, sehen wir am Schicksal der Schweine. Sie gehen zu Grunde. Nichts ist von ihnen geblieben. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt und nichts bleibt mehr von ihnen. So verhält sich das Böse zu uns, zu jedem von uns, zu uns allen gemeinsam: sei es  wir als Gemeinde, als Familie, als Staat, als Konfession – zu allen ohne Ausnahme.

Auf der anderen Seite sehen wir das Verhältnis des Heilandes Jesu Christi zu dem Besessenen. Vor Ihm steht die ganze Tragödie der Welt und Er, als ob Er diese Tragödie vergessen würde, oder besser ausgedrückt, indem Er sie in diesem einzelnen Menschen verkörpert sieht, lässt alles andere hinter sich, um diesen einen Menschen zu retten. Sind auch wir dazu in der Lage? Können wir die großen Aufgaben, von denen wir träumen, einfach vergessen, um unsere gesamte Aufmerksamkeit und unser Herz vollends und schöpferisch zu konzentrieren und uns  tragisch, ja sich opfernd, hinzugeben, um die Not eines Einzelnen zu lindern, dem zu helfen wir theoretisch in der Lage sind?

Der dritte Aspekt betrifft die Menschen von Gerazim, die wussten, in welchem Zustand sich der Besessene befand. Sie hatten sein Grauen mit angesehen und davon erfahren, dass Christus ihn geheilt hatte zum Preis ihrer Schweine jedoch, die sie nun verloren hatten. Und nun sind sie zu Christus gekommen, um Ihn zu beten, dass Er fortgehen, ihr Dorf verlassen und keine weiteren Wunder tun solle, die ihnen wieder teuer zu stehen kommen würden. Nein, nicht ihr Leben, auch nicht ihre Ruhe, ihren Reichtum sahen sie in Gefahr. Das war es, was sie ihn baten: Geh von uns. Deine Wunder, Deine Göttliche Liebe bringen uns nur keinerlei Vorteil. Geh fort!

Wir sollten dabei auch über uns nachdenken. Wir können uns selbst im Bild des Besessenen wiedererkennen, weil jeder von uns sich in der der Hand der einen oder anderen Leidenschaften befinden.  Wer von uns ist nie neidisch, wer nie verbittert, wer kennt keinen Hass, wer von uns tut nicht eine von den vielen tausend anderen Sünden? Wir alle sind auf die eine oder andere Weise besessen, d.h. sind in der Hand von dunklen Mächten. Dies genau ist ja auch deren Ziel: Sie wollen uns besitzen, sodass wir nichts anderes sein mögen als ihr Werkzeug, ein Instrument des Bösen, welches sie verwirklichen wollen, dies aber nur mit unserer Hilfe auch tun können. Dabei wollen sie uns nicht nur zu Übeltätern machen, sondern uns auch noch leiden lassen.

Lasst uns über uns nachdenken, wie wir zu anderen Menschen stehen. Wollen nicht auch wir andere besitzen? Bemühen wir uns nicht über andere Macht auszuüben, sie uns zu Untertanen zu machen und sie zu Werkzeugen unseres Willens, zu Objekten unserer Begierden zu machen?

Jeder von uns kann in sich solche Züge feststellen. Jeder hat schon einmal so gehandelt und findet um sich herum Opfer seiner selbst.

Zum Ende lasst uns noch über folgendes nachdenken: Wir gehören zu Christus. Warum wählen wir dann nicht den Weg Christi? Den Weg des Kreuzes, einen Weg des Opferns, auf dem wir anderen Menschen Freiheit und neues Leben schenken könnten, wenn wir uns nur von all dem abkehren würden, was uns beschäftigt, um unsere ganze Aufmerksamkeit auf die eine reale und brennende Notsituation eines anderen zu richten. Lasst uns darüber nachdenken, denn das Evangelium richtet sich an uns nicht nur, damit es uns Bilder vor Augen hält. Das Evangelium ist zugleich ein Aufruf und eine Herausforderung. Wo stehst du? Wer bist du? Auf wessen Seite gehst du? Jeder von uns sollte für sich eine Antwort finden und Gott antworten, wer er und wo er ist.

Amen.

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